Verängstigte Bürger

betr.: „Eine Revolution im Denken und Handeln“

Was Wolfgang Engler vorschwebt, ist die berechtigte ökonomische Absicherung einer akademisch gebildeten, jedoch ökonomisch äußerst prekären intellektuellen Schicht, deren Lebens- und Berufsperspektiven durch ein riesiges „Patchwork“ geprägt sind. Für diese Zwischenschicht wäre die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens so fundamental wichtig wie die Einführung der Künstlersozialversicherung durch die Regierung Brandt/Scheel Anfang der 70er-Jahre.

Wenn aber heute nicht nur bei kritischen Soziologen und Grünen, sondern auch bei den Marktliberalen und Teilen der Christdemokraten mit einem Grundeinkommen geliebäugelt wird, so geht es nicht um intellektuelles „Prekariat“, das die Feuilletonseiten füllt, sondern um die abgehängte soziale Unterschicht der Hartz-IV-Empfänger.

Engler meint im Ernst, es genüge, „diese Menschen so auszubilden, dass sie mit dem Grundeinkommen etwas für ihr Leben anzufangen wissen“. Sprich: das Subproletariat auf das Niveau eines prekären Intellektuellendaseins zu bringen. Das erinnert mich an einen Satz von Eduard Bernstein, der kurz vor dem Ersten Weltkrieg die reformistische Parole ausgab: „Die Güter dieser Welt sind verteilt, dem Proletarier bleibt nur noch die Bildung.“ Deshalb hat Greffrath Recht: Mit dem Grundeinkommen werden die Politik und die Mittelschichten auf im wortwörtlichen Sinne billige Art das Problem der Arbeitslosigkeit los, denn es gibt keine Arbeitslosen mehr. Damit aber ist das Problem, dass es eine wachsende Masse von Ausgestoßenen gibt, zementiert.

Ebenso Recht hat Greffrath aber auch mit seiner Prognose: Über kurz oder lang werden die arbeitenden Mittelschichten den fordernden Abgehängten antworten: „Wir schaffen es nicht mehr, euch zu ernähren.“ Und gerade hier sieht man den Unterschied zu den 70er- und 80er-Jahren – aber auch zu den Ursprüngen bürgerlicher Emanzipation.

Vor zwanzig wie vor zweihundert Jahren blickten kritische Bürger nach oben, an die Spitze der gesellschaftlichen Pyramide, wenn sie berechtigte Klage führten, dass dort oben Luxuseinkommen ohne Erwerbsarbeit entstünden. Heute machen sich nicht nur die saturierten, aber verängstigten Bürger, sondern offenbar auch linke Intellektuelle, durch die Fixierung auf ihre eigenen ge- und vielleicht noch mehr durch ihre misslungenen kleinen Kapitaltransaktionen, zu Kollaborateuren eines arbeitsplatzvernichtenden großen Geldes. WALTER GRODEHannover