Die kleinen Meister triumphieren

Rückkehr zu Regeln, zu Sicherheiten in der Kunst: Die 38-jährige, in Kiel geborene und in London lebende Malerin Tomma Abts gewinnt den prestigereichen Turner-Preis 2006. In ihren Arbeiten dominieren einfache Farbgebungen und die Reduktion auf Wiedererkennbares, auch Erwartbares

Tomma Abts’ geometrische Ölgemälde entsprechen dem, was selbst Erzkonservative als Kunst bezeichnen

von JUDITH LUIG

Die offizielle Version ist: Tomma Abts hat den Turner-Preis 2006 erhalten. Damit gewinnt zum ersten Mal in der 22-jährigen Geschichte dieser kontroversen Auszeichnung eine Malerin. Verdient hat die 38-jährige, in Kiel geborene Künstlerin die 25.000 britischen Pfund, die für den besten britischen zeitgenössischen Künstler gedacht sind, wegen ihrer „eindringlichen Bilder, deren Komplexität sich erst nach einer gewissen Zeit entfaltet“, so die Begründung. Yoko Ono überreichte die Auszeichnung am Montagabend.

Inoffiziell spielen beim Turner-Preis aber noch eine Menge anderer Faktoren eine wichtige Rolle. 2005 zeigten sich die Traditionalisten enttäuscht, dass die einzige Künstlerin und zudem noch die einzige Malerin der Shortlist, Gillian Carnegie, sich mit ihren eher stillen und akademischen Porträts und Landschaften nicht gegen die lauteren Werke der Kollegen durchgesetzt hatte. Die Malerei war in Verruf geraten: Gewonnen hatte Simon Starling, Favorit der Buchmacher, mit einer Holzhütte, die er zwischenzeitlich zum Boot umfunktioniert hatte, und einer Motorradkonstruktion. Der Preisträger von 2004, Jeremy Deller, hatte sogar öffentlich erklärt, er könne weder malen noch zeichnen – und damit wieder die ewige Debatte losgetreten, was denn nun eigentlich als Kunst zu bezeichnen sei und was nicht. Tomma Abts’ geometrische Ölgemälde, die sich am Stil der Moderne orientieren, entsprechen in Material, Gegenstand und Präsentation genau dem, was selbst die Allerkonservativsten als Kunst bezeichnen würden. Übrigens war auch sie die diesjährige Favoritin der Buchmacher. Hat also 2006 die Tradition das Rennen gemacht?

Bei der Ausstellung der nominierten Künstler in der Tate Britain waren Tomma Abts’ Ölgemälde auffällig unauffällig. Die amorphen Skulpturen – die teilweise an erhärtete Matschtannen erinnern – von Rebecca Warren, die auch ihre Abfälle in ihrem Werk verarbeitet, kommentierte der Daily Mirror: „Ohnehin denken schon viele Menschen, dass Kunst Müll sei. Diese Künstlerin will es anscheinend beweisen.“ Phil Collins spiegelte das Medienspektakel um den Turner-Preis in seiner Installation wider. Er entwarf und baute die Produktionsfirma Shady Lane Productions in die Ausstellungsräume, die dokumentiert, wie Menschen sich im Fernsehen verkaufen. Mark Titchner bastelte ähnlich gigantisch, blieb aber mit seinen optischen Irritationen eher auf einer künstlerischen Ebene. Seine halb wissenschaftliche, halb abgedrehte Installation mit grellen Plakaten und viel Metall, Batterien und Boxen trug Botschaften an die Welt wie: „tiny masters of the world come out“.

Und die kleinen Meister sind herausgekommen. Die formellen Bilder der Preisträgerin Tomma Abts sind jeweils 48 x 38 cm groß. „Die Größe fühlt sich richtig an“, erklärt Abts. Die Werke der seit zwölf Jahren in Großbritannien lebenden Künstlerin sind nicht darauf angelegt, die Aufmerksamkeit der Betrachter zu erheischen.

Die Zeit feiert Tomma Abts als Künstlerin der Langsamkeit. Die blasse Oberfläche der Bilder sei „trügerisch“, tatsächlich verberge sich hier eine Tiefe, die nicht nur durch den langwierigen Malprozess von mehreren Schichten und Entwürfen bedingt ist. Was an Abts vielleicht so faszinierend ist, ist ihre Rückkehr zu Regeln, zu Sicherheiten in der Kunst. Die strengen Formen, einfachen Farbgebungen, die Reduktion auf Wiedererkennbares, Erwartbares.

Hier ist wieder eine Kunst, die sich als ein intellektuelles Rätsel präsentiert. Auch wenn das die Künstlerin selbst nicht so sehen möchte: „Ich beginne ein Bild ohne ein Konzept, wie es aussehen soll“, wird sie zitiert. Das klassische Porträtformat und auch die nach nordischen Eigennamen klingenden Titel – Ert, Emo, Nomde – verführen den Betrachter zu einer ganz anderen Auseinandersetzung mit der Kunst, als das die begehbaren Installationen der Stars der vergangenen Jahre taten. Was wird hier eigentlich dargestellt? Auf einmal steht man wieder vor einem Bild und blickt ihm ins Gesicht.