Gegen die Wand

Die Hysterie des Handlungsreisenden: In Bülent Akincis Roadmovie „Der Lebensversicherer“ schaltet der Held nachts manchmal die Scheinwerfer aus

Dieses Lachen. Es scheppert hässlich in den Ohren, klingt gepresst und schrill, manchmal hysterisch. Nur wenige Minuten braucht es in „Der Lebensversicherer“, um klarzustellen: Burkhard Wagner, der Protagonist, würde viel lieber heulen als lachen. Da er sein Geld aber als Versicherungsvertreter verdient, ständig unterwegs auf Deutschlands Autobahnen und auf der Jagd nach der nächsten Provision ist, darf er nicht heulen. Sein Job erfordert lockeres Auftreten. Burkhard Wagner wird ziemlich häufig schrill lachen in diesem Film.

„Der Lebensversicherer“ ist ein alptraumhaftes Roadmovie, das von der Paradoxie lebt, dass jemand, der anderen Menschen Sicherheit verkauft, sich selbst verloren geht. Burkhard Wagner kurvt mit seinem alten Citroën über die Straßen, sein Anzug ist verknittert, sein Haar fettig. Er ist ein moderner Mister Hiob, der sein Glück ganz unten sucht: Seine Opfer sind Hartz-4-Pärchen, die auf Raststätten in Wohnwagen leben. Wagner schiebt seinen Fuß in ihre Tür und hält ihnen Vorträge darüber, was in ihrem Leben alles noch schief gehen könnte – bis sie unterschreiben. Alles wirkt grau und trist, die Menschen sehen übermüdet aus. Nachts schaltet Burkhard Wagner beim Fahren manchmal die Scheinwerfer aus. Als wolle er ausprobieren, ob er dabei nicht möglicherweise tödlich verunglückt.

Der Regisseur Bülent Akinci, der selbst einmal als Versicherungsvertreter gearbeitet hat, lässt seinen Film bevorzugt nachts und im Nebel spielen. Auf einer heruntergekurbelten Rücklehne schläft es sich schlecht, deswegen sitzt Burkhard Wagner häufig mit fahlem Gesicht in den Cafés von Autobahnraststätten. Dass die Bilder, die der Kameramann Henner Besuch dort eingefangen hat, in ihrer Tristesse an die neonbeleuchtete Bar in Edward Hoppers Gemälde „Nighthawks“ erinnern, gibt keinen Grund für Trost.

Schauspielerisch ist es ein Knochenjob, den Jens Harzer, der in diesem Jahr auch schon in Hans-Christian Schmids „Requiem“ zu sehen war, in seiner Hauptrolle leistet. Fast die gesamte erste Hälfte von „Der Lebensversicherer“ muss er sich alleine durchschlagen. Kaum etwas passiert, dennoch graben sich seine Augenringe immer tiefer, wird sein Lachen immer schriller. Bis ihm irgendwann, endlich, Marina Galic zur Seite gestellt wird. Sie spielt die frisch verwitwete Caroline. Ausgerechnet sie – mit ihrer ganz in der Nähe einer Autobahnausfahrt gelegenen, sehr schlecht laufenden Pension – bewirkt, dass Burkhard Wagner die Kurve aus seiner Verzweiflung kriegt.

Gegen Ende, als man fast schon vergessen hat, dass es Bülent Akinci in diesem Film wahrscheinlich nicht nur um Burkhard Wagner geht, sondern auch um die Zustandsbeschreibung einer ganzen Gesellschaft, wird der Held in einem Wald am Rand der Autobahn noch ein paar jungen Russinnen begegnen. Wieder ist es ziemlich neblig und grau, und wieder sieht Wagner aus, als wolle er demnächst gegen eine Wand fahren. Die Mädchen hingegen – es sind wohl Prostituierte, die sich illegal in Deutschland aufhalten – hüpfen frischen Mutes an ihm vorbei in den Laderaum eines Lieferwagens, der hinter den Bäumen auf sie wartet.

Wie sich jemand wie ein Stück Vieh durch Deutschland schmuggeln lassen kann, in der Hoffnung, hier ein besseres Leben zu finden: Für Burkhard Wagner ist es ein Rätsel. Deswegen lacht er auch mal wieder. Im Wald klingt es noch hysterischer.

JAN KEDVES

„Der Lebensversicherer“, Regie: Bülent Akinci. Mit Jens Harzer, Marina Galic u. a., Deutschland 2006, 100 Min.