Gespaltene Stadt

Die Ausstellung „New York Divided“ beschäftigt sich mit der lange Zeit vergessenen und verdrängten Geschichte der Sklaverei in New York

von ADRIENNE WOLTERSDORF

Mit seiner Freiheitsstatue war New York stets eine Verheißung. Hier kamen Schiffe voller Immigranten an, die oft Armut und Verfolgung entronnen waren oder einfach nur auf ein Leben in Freiheit und Wohlstand hofften. Natürlich hatte die Hauptstadt des Kapitalismus ihre Aufstände und sozialen Revolten. Doch schien New York als Zentrum des Freihandels und des bürgerlichen Kaufmannstums immun gegen die Mechanismen der systematischen Unterdrückung. Es gehört daher nicht zur kollektiven Erinnerung, dass New York gut 200 Jahre lang auch die Hauptstadt der Sklaverei in der westlichen Welt war.

Diese gänzlich verdrängte Geschichte zu erzählen, hat sich die New York Historical Society zur Aufgabe gemacht. Mit der Ausstellung „New York Divided: Slavery and the Civil War“ präsentiert sie die Essenz einer dreijährigen kritischen Introspektion. Im vergangenen Jahr hatte das Forscherteam um Louise Mirrer, der Präsidentin der Historical Society, mit der Ausstellung „Slavery in New York“ den Anfang gemacht. Die gegenwärtige Ausstellung ist Teil zwei und Schluss der Arbeit des 15-köpfigen Gremiums.

Die Idee, sich der Geschichte der Sklaverei zu widmen, entwickelte sich über mehrere Jahre hinweg. Die Historical Society verfügt über die größte Materialsammlung an entsprechenden Dokumenten innerhalb New Yorks. Dazu gehören die Geschäftsbücher bekannter Menschenhändler, Logbücher von Sklavenschiffen, Verkaufsprotokolle, Zeitungen, Briefe von Abolitionisten sowie erste Berichte von Anti-Sklaverei-Organisationen. Außerdem besitzt sie rund 21.000 Pamphlete, die sich mit Sklaverei befassen. Der Anstoß, dieses Material endlich auszuwerten, kam, als Mirrer 2003 den Vorsitz der Gesellschaft übernahm. Sie erhielt breite Unterstützung von Sponsoren sowie finanzielle Zuwendungen der Stadt selbst und auch des Bundes. Mit den so insgesamt gesammelten 8,2 Millionen Dollar berief sie schließlich eine Kommission von Koryphäen aus dem Bereich der Afroamerikanischen Studien ein.

Was unter dem Kurator der Ausstellung, Richard Rabinowitz, zu Tage kam, ist die US-weit bislang erste selbstkritische Sklaverei-Ausstellung dieser Größenordnung. So wird die Geschichte einer zutiefst gespaltenen Stadt sichtbar: New York mag eine aktive Anti-Sklaverei-Bewegung gehabt haben, gleichzeitig war es auch Hochburg einer die Sklaverei befürwortenden Politik. Mit der florierenden Zeitungs- und Verlagswirtschaft gab es zahllose Pamphlete von Abolitionisten sowie kuriose Publikationen wie dem in der Ausstellung gezeigten „Anti-Sklaverei-Buch für Kinder“. Dennoch vertraten damalige Zeitungen überwiegend die Ansicht, die 1835 im New York Herald stand: „Wir glauben, die Institution der Sklaverei im Süden ist nichts Schlechtes – es ist vielmehr ein positives Gutes.“

In der Ausstellung erfährt man darüber hinaus, dass die Stadt zwischen 1832 und 1868 bei jedem Präsidentschaftswahlkampf mehrheitlich den demokratischen Kandidaten unterstützte. Zu dieser Zeit war die Demokratische Partei die im Süden der USA vorherrschende, die Interessen der Plantagenbesitzer vertretende Partei. Abraham Lincoln, ein Republikaner aus dem Norden, gemäßigter Gegner der Sklaverei, der 1860 knapp zum US-Präsidenten gewählt wurde, erhielt in New York City gerade mal 35 Prozent der Stimmen.

Warum die Stadt, die sich selbst zum Freiheitssymbol stilisierte, so ein handfestes Interesse an der Verstetigung des Menschenhandels, der Plantagenaristokratie und der Sklaverei hatte, das wird gleich am Eingang zu „New York Divided“ deutlich gemacht. Dort hängen unter der Decke riesige Baumwollballen. Gepflückt von Sklaven, machte Baumwolle der Südstaaten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts rund 60 Prozent der US-Exporte aus und war weltweit die Hauptquelle für diesen zunehmend beliebten Rohstoff. 1822 machte Baumwolle denn auch rund die Hälfte aller Exporte im New Yorker Hafen aus. Andere Exportschlager der Sklavenindustrie waren Tabak, Zucker, Indigo, Kaffee und Kakao. Noch im 18. Jahrhundert hatte jeder New Yorker Kaufmann, auf die eine oder andere Weise, vom transatlantischen Menschenhandel profitiert.

Ein Ausstellungsraum zeigt, wie sich in New York, an der Schnittstelle von Produktion und Verkauf, das Interesse des Südens mit dem des Nordens verschränkte. Das Gros der New Yorker Edelherbergen war ganz auf die Plantagenbesitzer aus dem Süden eingestellt. Den Sommergästen bot man Interieurs mit romantisierenden Landschaftsgemälden, dazu Tapeten und Geschirr, auf denen schwarze Sklaven mit Freude ihrer Arbeit auf den Feldern nachgehen – im Hintergrund hübsche, weiße Plantagen-Residenzen. Der Süden, so die Ausstellung, erhielt in seiner bildnerischen Darstellung vollständige Absolution – und der Norden den trügerischen Luxus, von einer heilen Welt entlang des Mississippi träumen zu können.

Der beeindruckendste Teil der Schau zeigt einzelne Lebensgeschichten von schwarzen Männern und Frauen, Entflohenen, Autodidakten, Befreiten und weißen AktivistInnen. Diese Dokumente verdeutlichen, wie beharrlich gegen Sklaverei gekämpft und agitiert wurde. Es ist ein großes Verdienst von Louise Mirrer und Richard Rabinowitz, dass sie diese Namen und Biografien dem Dunkel der Archive entrissen haben.

Das Bild New Yorks dieser Zeit bleibt verwirrend und siegerlos. In dem Bestreben, einem religiösen und humanistischen Ideal zu entsprechen, können die Bürger doch nicht dem Morast der wirtschaftlichen Profitabilität entkommen. Nach dem Ende des Sezessionskriegs 1865, mit dem auch die Ausstellung endet, wird eines klar: wie ungeheuer komplex, langwierig und zäh der Kampf gegen die Sklaverei selbst an einem so weltoffenen Ort wie New York war.

„New York Divided: Slavery and the Civil War“. In Manhattan bis zum 3. September 2007. Die Ausstellung ist umfangreich im Internet dokumentiert: www.slaveryinnewyork.org