Glückssache im Konjunktiv

VON HEIKE HAARHOFF

Was sich ändern würde? Sarah, 22, würde sich „ganz dem Schreiben hingeben“, hätte sie nur endlich ein Grundeinkommen. Rinzwind, 37, würde „einen Fußballtrainerschein machen und eine Familie gründen“. Micky, 47, hätte endlich ein Leben „ohne Existenzangst und Dauerstress“. Und Compumaestro, 23, würde sich „selbstständig machen und nebenbei viele gemeinnützige Projekte vorantreiben“.

In deutschen Internetforen ist die Sache abgemacht: Mit einem Grundeinkommen, davon sind die meisten überzeugt, würde sich ihr Leben radikal ändern. Zum Besseren natürlich. Zum Kreativen. Tatsächlich? Es ist schwer, diese Frage zu beantworten. Denn das Grundeinkommen, dieses bedingungslose, staatliche Basiseinkommen für jedermann, existiert ja nirgends. Außer in Alaska. Aber Alaska ist weit, leer und wohl kaum mit Deutschland vergleichbar.

Also fährt man durchs Land und fragt Menschen, die schon heute mit etwas wie einem Grundeinkommen leben, mit einem Sockelbetrag, über den sie unabhängig von ihrer Erwerbstätigkeit verfügen können. Etwa weil sie im Lotto gewonnen haben, weil sie Erben oder Mietshausbesitzer sind, Stipendiaten, erfolgreiche Börsenspekulanten oder einfach, weil sie sparsam mit ihren Rücklagen umgehen.

Man findet den Soziologen Dr. Peter Müller, 52, in Dresden. Und in Bochum die Theaterchefin Barbara Wollrath-Kramer, 54. In Frankfurt am Main antwortet der Informatiker Olaf Rust, 42. Der heißt eigentlich anders, will aber nicht, dass diejenigen, die seinen Lebensunterhalt sichern, wissen, wie er wirtschaftet und denkt. In ihren Augen wäre er vielleicht ein satter Faulpelz.

„Arbeit ist eine Droge“

Alle drei haben oder hatten Geld bekommen, ohne dafür irgendeine Gegenleistung erbringen zu müssen. Keiner von ihnen hat – das sei vorweggenommen – deswegen seine Haltung zur Erwerbsarbeit geändert, geschweige denn sein Leben umgekrempelt.

Wie sollte das auch gehen, fragt Peter Müller. Zielstrebig steuert der Mann mit dem langen, weißen Zopf einen Tisch in einem Dresdner Café an. Weil es sein Stammcafé ist und er sich gut auskennt, merkt man zuerst nicht, was für eine Leistung er da vollbringt: Peter Müller ist blind. Retinitis Pigmentosa heißt die Netzhauterkrankung, mit der er vor 52 Jahren auf die Welt kam und die in Schüben verläuft. Deswegen bezieht er seit drei Jahren eine Erwerbsminderungsrente. Freiwillig, betont er: „Sie macht es mir leichter, die Dinge zu tun, die ich ohnehin tun würde.“

Der Satz ist weniger kompliziert, als er klingt, wenn man Peter Müllers Geschichte zuhört: Zu DDR-Zeiten war er Soziologe, es war sein Traumjob. „Arbeit“, sagt er rückblickend, „ist eine Droge, ich habe mich immer über die Arbeit definiert.“ Dann aber fiel die Mauer, und das Institut in Dresden, an dem Peter Müller die Folgen der Technisierung im Arzt-Patienten-Verhältnis untersucht hatte, wurde abgewickelt. „Diese Arbeit zu verlieren“, sagt er, „war für mich schlimmer als das Wissen, dass ich eines Tages ganz blind sein werde.“ Es ging ja nicht bloß um das Geld, das ab da knapper wurde. „Jeder Mensch braucht die Vorstellung, etwas Sinnvolles zu tun.“

Peter Müller redet nicht bloß so daher, er hat das wissenschaftlich erforscht. „Der Mensch braucht Anerkennung und sozialen Kontakt.“ Doch genau diese Anerkennung fehlte bei den Jobs und den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, mit denen er sich durch die 90er Jahre hangelte – bis es irgendwann gar keine bezahlte Arbeit mehr für ihn gab.

Peter Müller hat Glück. Er hat kein Problem damit, sich selbst zu motivieren. Er engagiert sich in der Altenhilfe. Er ist aktiv bei den Grauen Panthern. Er hat einen Verein gegründet, der sich die gesellschaftliche Neubestimmung des Begriffs „Arbeitskultur“ zum Ziel gesetzt hat. „Beim Arbeitsamt“, sagt er, „musste ich viele Papiere ausfüllen, alles sinnlos. Und am Ende hatten sie doch nichts zu bieten.“

Peter Müller und seine Frau haben zwei Töchter. Als seine Krankheit schlimmer wurde und sich die Erwerbsminderungsrente anbot, griff er dankbar zu. Seit drei Jahren ist die Rente sein Grundeinkommen. Er kann damit leben, auch wenn er sich schon von einem Gewerkschafter anhören musste, er sei ein „Sozialschmarotzer“ – Blindheit schließe Erwerbstätigkeit schließlich nicht aus.

Die Ehrenämter füllen jetzt seinen Tag. Die Uni, den Zugang zu Forschung und Lehre, den nur diejenigen bekommen, die dort auch angestellt sind, können sie ihm nicht ersetzen: „Meine Haltung zur Arbeit“, sagt er, „hat sich nicht grundlegend verändert. Wenn es wieder eine Möglichkeit als Soziologe an der Uni für mich gäbe, wäre das immer noch reizvoll für mich.“

Olaf Rust hingegen schafft sich sein Grundeinkommen quasi selbst. Der 42-jährige Informatiker machte sich Mitte der 90er Jahre selbstständig, er entwickelt Software, unter anderem für Banken in Frankfurt. So weit, so gewöhnlich. Aber Rust macht das höchstens zwei, drei Monate, den Rest des Jahres hat er frei. Wie das geht? „Ich lebe bewusst relativ bescheiden“, sagt er, „mein Geld gebe ich höchstens für Bücher und CDs aus.“ Das Auto ist 16 Jahre alt, seine Freundin verdient ihr eigenes Geld, die beiden haben keine Kinder.

Es gibt da ferner, wie Rust es nennt, noch „ein starkes Gefühl von Grundsicherheit“. Das begleitet ihn seit der Kindheit und erlaubt ihm, auch mal den einen oder anderen Job auszuschlagen, den er unter anderen Umständen vielleicht annehmen würde: Olaf Rust wird eines Tages erhebliche Summen erben. Und davon mal abgesehen – man kann es sich denken – ist seine eigene Arbeit so unglaublich gut bezahlt, dass zwei oder drei Monate bereits ein bescheidenes Jahresbudget sichern.

„Aber“, findet er, „eine solche verzerrte Bezahlung entwertet doch im Grunde die Arbeit.“ Er jedenfalls kann daraus wenig Bestätigung ziehen. Deswegen steht er der Arbeit kritisch gegenüber, möchte ihren Platz in seinem Leben klein halten. Lieber will er Zeit für sich, seine Hobbys, seine Freunde – denn die geben ihm das Gefühl, aufgehoben zu sein. Ein Wert, sagt er, der durch keinen Job aufzuwiegen sei.

Er sagt das bar jeder Arroganz. Er weiß aber, wie viele Menschen jetzt vielleicht die Wut packt, weil sie sich nichts sehnlicher wünschen als eine anständig bezahlte Arbeit, bei der sie nicht ihre Würde verlieren.

Man muss sich mühen

Aber für Olaf Rust geht es um anderes. Es ist nicht die Notwendigkeit, sondern der tiefere Sinn von Erwerbstätigkeit, den er in Frage stellt. Es ist eine beinahe philosophische Herangehensweise: „Dass jemand das bezahlt bekommt, was er verdient, das stimmt einfach nicht.“

Bezahlt bekommen, was man verdient … Es ist ein Herbstabend in Berlin-Kreuzberg. In einem Stadtteilzentrum sitzen vier Frauen und vier Männer zwischen 30 und 70 Jahren im Kreis. Hartz IV, Boshaftigkeiten in der Arbeitsagentur, Schnüffelei und Nachweispflicht, dumpfe Ein-Euro-Jobs – sie alle stecken mittendrin, sie oder ihr enger Familien- und Freundeskreis. Deswegen haben sie sich hier versammelt, sie sind aufgebracht und ungehalten. Ihr Ziel ist, wie es eine Teilnehmerin formuliert, „unabhängig zu werden von irgendwelchen Scheißeliten, die einen drangsalieren“.

Ihre Lösung heißt „bedingungsloses Grundeinkommen“. Sie haben vage davon gehört, auf Veranstaltungen des dm-Chefs Götz Werner, einem Vordenker in Sachen Grundeinkommen, oder in den Medien. Dort ist oft die Rede davon, welchen Segen das Grundeinkommen der Demokratie bringen würde, welchen sozialen Frieden es stiften könnte. Große Worte. Die Runde interessieren sie herzlich wenig. Zwei Stunden lang dreht sich ihre gereizte Diskussion vor allem um eins: wie hoch das Grundeinkommen gefälligst zu sein habe, damit es seinen Namen verdiene.

Wenn Barbara Wollrath-Kramer zufällig solche Wortfetzen aufschnappt, dann sieht die elegante, dunkelhaarige Dame aus Bochum aus wie ein Panther, der zum Sprung ansetzt. „Ha“, ruft sie, „der Staat muss doch, der Staat soll doch … was für eine Anspruchshaltung!“ Sie ist empört, ihr käme gar nicht in den Sinn, Unterstützung einzufordern. „Wer ganz viel Hilfe kriegt, der wird nichts – außer bequem“, lautet eine ihrer tiefen Überzeugungen. Eine andere: „Immer wenn ich im Nichts stand, habe ich in mir neue Kräfte mobilisiert.“ Barbara Wollrath-Kramer hat in ihren 54 Jahren Leben schon manches Mal im Schlamassel gesteckt.

Ihre Schauspielkarriere verlief nicht immer geradlinig, mit Anfang vierzig hatte sie dann einen schweren Unfall. „Ich wusste nicht“, sagt sie, „ob ich da lebend rauskommen würde.“ Sie hatte unglaubliches Glück, und diese Zäsur nutzte sie für einen Neuanfang: Arbeitslos und ohne einen Pfennig Eigenkapital gründete sie vor zehn Jahren das „Theater total“ in Bochum, eine anarchisch anmutende Theaterausbildungswerkstatt für Jugendliche mit und ohne Schulabschluss. Jahresbudget 200.000 Euro, staatliche Zuschüsse: null Euro.

Wollrath-Kramers Mantel ist 25 Jahre alt, ihre Lederhose das Geschenk einer Boutique, die Stühle im Theater kommen vom Sperrmüll. Alles nicht so wichtig, sie hat andere Sorgen. Sie muss Sponsoren finden, sie muss ihre Angestellten bezahlen, und wenn für sie selbst nichts übrig bleibt, dann fällt das anderen auf. Es war die Zukunftsstiftung Soziales Leben aus Bochum, die vor vier Jahren auf die Schauspielerin zuging und ihr ein Stipendium anbot: monatlich 500 Euro, die Hälfte des Einkommens, das Barbara Wollrath-Kramer sich selbst zugesteht. Ohne Rechenschaftspflicht, ohne Einmischung, drei volle Jahre lang.

Die Zukunftsstiftung ist eine der wenigen in Deutschland, die einzelne Menschen so vorbehaltlos unterstützt. Allerdings nur solche, die ihr Projekt wohl ohnehin, wegen ihrer Willensstärke, auf die Beine stellen würden – und nicht wegen etwaiger Fördermittel.

Vor einem Jahr ist Barbara Wollrath-Kramers Stipendium ausgelaufen. Natürlich sei es toll gewesen, dieses Geld zu haben, sagt sie. So konnte sie die 500 Euro im Monat, 6.000 im Jahr, 18.000 in drei Jahren, die sie sonst selbst für sich hätte erwirtschaften müssen, ins Theater stecken. „Es war eine Erleichterung, sicher.“ Aber ob sie diese allen Menschen, bedingungslos, zumuten wollen würde – sie hat Zweifel. Nicht aus Missgunst, Neid ist Barbara Wollrath-Kramers Problem nicht. Aber: „Der Mensch muss sich mühen, er muss sich bilden durch seine Arbeit.“ Es wäre ein schöner Satz für die Bühne, aber sie spielt jetzt nicht: „Sonst verkümmert er.“