Feuer frei!

Fast konnten die Nichtraucher aufatmen. Nun aber ist das Rauchverbot gekippt worden. Die Tabaklobby freut’s, und die große Koalition steckt in einem handfesten Konflikt

„Wir sprechen hier nicht vom Kaugummikauen, sondern vom Passivrauchen“

VON GEORG LÖWISCH

Brigitte Zypries wird sich womöglich noch ärgern. Die SPD-Justizministerin hat es vermutlich geschafft, den ganzen Rauch-Kompromiss zum Teufel zu jagen. Aber weil die Regierung ja unmöglich mit gar nichts ankommen kann nach all den großen Ankündigungen, will sie nächste Woche wenigstens ein ganz kleines Rauchverbot beschließen: qualmfreie Bundesministerien. Die Raucherin Zypries hätte viele Süchtige im Land beglückt – im eigenen Haus aber müsste sie auf Entzug.

Zypries’ Zugeständnis wäre nur eine besonders absurde Wendung in einer verrückten Aufführung der großen Koalition – quasi eine Sondervorstellung. Erst kündigen Union und SPD Rauchverbote an, um die so zäh gefeilscht worden ist, dass am Ende jedem der Kopf schwirrte vor lauter Speiserestaurant- und Schankwirtschaft-Definitionen. Und dann dauert es nur eine Woche, bis sie ihren eigenen Kompromiss wieder abräumen. Ergebnis: Den Bund geht das alles nichts an – ein beherzter Rückzieher. Angela Merkel wird die Länder mahnen, ein bisschen strenger beim Tabak zu sein, mehr nicht. Regelte jedes Land für sich, würde die Absurdität der Politik auf den Alltag übergreifen. Man stelle sich eine Chorprobe im Jahr 2010 im thüringischen Roßleben vor: Die Raucher bleiben danach zum Stammtisch vor Ort, die Nichtraucher fahren lieber nach Memleben ins rauchfreie Sachsen-Anhalt rüber.

Linkspartei und Grüne haben gestern nicht recht gewusst, ob sie lachen oder weinen sollten. Einerseits wollen sie mehr Schutz vor Qualm. Andererseits ist das Schauspiel so putzig. „Das Wort ‚Murks‘ ist noch steigerbar“, spottet Grünen-Fraktionschefin Renate Künast. „Die halten uns zum Narren“, lästert Martina Bunge von der Linkspartei.

Die Rauchgegner, vor allem in der SPD, geben nicht auf. „Bei uns ist Dampf drin“, sagt einer aus der Fraktion. Montag und Dienstag will man darüber sprechen, wie der Kampf gegen den Tabak doch noch gewonnen werden kann. Dass mit Zypries eine Sozialdemokratin den Kompromiss wegfegen will, entspannt die Lage nicht gerade. „Es drängt sich derzeit der Verdacht auf“, schimpft Carola Reimann, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, „dass hier von interessierter Seite über juristische Winkelzüge versucht wird, den Nichtraucherschutz auf Landesebene abzustellen und somit zu zerreden.“

Um die Geschichte zu verstehen, muss man ein wenig zurückspulen: Im Februar besucht der SPD-Abgeordnete Lothar Binding das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg. 140.000 Tote pro Jahr durchs Rauchen, 3.300 durchs Passivrauchen, 8,5 Millionen Passivraucher am Arbeitsplatz. Binding ist missioniert. Der Abgeordnete, der sich sonst um Steuerpolitik kümmert, schreibt einen Antrag, der absolute Rauchverbote in Gaststätten, Schulen, Ämtern und Unis verlangt. Die GesundheitspolitikerInnen der Fraktion, aber auch Leute wie Wolfgang Thierse, Hans Eichel und Gregor Gysi machen mit. Am Ende hat der fraktionsübergreifende Gruppenantrag 140 Unterschriften von SPD und Linkspartei, sogar 4 Unions-Politiker sind dabei. Die Grünen sind eh für radikale Rauchverbote.

Rot-Rot-Grün mit schwarzen Pünktchen? Die Chefs von Union und SPD drängen darauf, die Koalition nicht zu vergessen. Eine sechsköpfige Arbeitsgruppe wird eingerichtet. Jede Woche einmal sitzen die sechs Politiker in aller Herrgottsfrühe zusammen, feilschen um Raucherzimmer, Eckkneipen und Bierzelte. Endlich wird der Kompromiss verkündet: Rauchverbote nur in Discos und Restaurants, in Bars und Kneipen nicht.

Das war letzten Freitag. Nun, eine Woche später, lassen Innen- und Justizministerium durchsickern, der Kompromiss sei nicht in Bundesrecht umsetzbar. Die Rauchgegner berufen sich auf den Gesundheitsschutz: Gemeingefährliche Krankheiten muss laut Grundgesetz der Bund abwehren, Rauchen würde quasi wie Pest und Cholera behandelt. Das halten Zypries, Schäuble und ihre Juristen für eine Überdehnung des Grundgesetzes. Aus dem Gaststättenrecht kann man die Regelungskompetenz nicht mehr herleiten: Es fiel diesen Sommer mit der Föderalismusreform vom Bund an die Länder.

Die Sozialdemokraten sind sauer. Erst lassen wir uns auf eine Kompromisssuche mit den Tabakfreunden der Koalition ein und dann ist alles nur Spaß? – Wir haben euch doch schon im Oktober gewarnt, entgegnen Justiz- und Innenministerium. Tatsächlich hatten beide Ressorts schriftlich erklärt, dass es über den Gesundheitsschutz nicht läuft.

Die Sozialdemokraten um Lothar Binding setzen nun darauf, das Rauchen in Gaststätten über den Arbeitsschutz zu verbieten. Das Schöne: eindeutig Bundesangelegenheit. Das Problem: Ausnahmen könnten erneut rechtliche Fragen aufwerfen. Warum wird der Kneipenkellner besser geschützt als sein Kollege in der Pizzeria? Weil die Union jedoch die Ausnahmen haben möchte, hatten die sechs Mitglieder der Arbeitsgruppe lieber auf den Gesundheitsschutz gesetzt.

„Wir sprechen hier nicht vom Kaugummikauen, sondern von Passivrauchen und Giftstoffen“, sagt die Sozialdemokratin Reimann trotzig. Binding droht, den Gruppenantrag wieder rauszuholen – das fänden die Chefs der Koalition nicht lustig. Die Grünen signalisieren, dass sie mitmachen würden, die Linkspartei hat den Antrag ja schon unterschrieben. Rot-Rot-Grün minus Zypries plus Unions-Tabakgegner – es ist unwahrscheinlich, dass so eine Koalition der Rauchverbieter in Stellung gebracht wird. Zur Absurdität der ganzen Geschichte würde es passen.