Es ist ein Banjo entsprungen

Spät kommt die Bescherung, aber nicht zu spät: Der Konzeptfolkbarde Sufjan Stevens hat eine Fünf-CD-Box mit Weihnachtsliedern veröffentlicht. CD 4 und 5 sind super

Sufjan Stevens, der veröffentlichungswütige Multiinstrumentalist, hat einen Hang zur Gigantomanie. So hat er sich vorgenommen, die 50 amerikanischen Bundesstaaten zu vertonen, und dieses Folk-Lebenswerk 2003 mit seinem Heimatstaat Michigan begonnen. Inzwischen ist er aber erst bei Illinois angelangt. Unnütz die Frage, ob dieses Vorhaben nun auf Patriotismus und tiefer Religiosität gründet oder ob es sich um die liebenswerte Verschrobenheit eines musikalischen Wunderkinds handelt. Bei Sufjan Stevens kann man durchaus von einem tiefen, ungetrübten Verhältnis zu Religion und Heimat ausgehen.

Deshalb ist es gar nicht verwunderlich, dass er nun, statt die nächsten Staaten Rhode Island und Oregon in Angriff zu nehmen, mit „Songs for Christmas“ eine Weihnachts-Konzeptbox mit 5 CDs veröffentlicht hat. Denn ist Weihnachten nicht ein noch größeres Projekt als alle Bundesstaaten zusammen? Aber schon beim Hören der ersten CD sinkt die Hochachtung vor dem Fleiß des Musikers, denn für solche Aufnahmen braucht man echt nicht lange: Einmal auf dem Casio „Stille Nacht“ runtergeorgelt, dann „Amazing Grace“ und „Jingle Bells“ auf dem Banjo geschrammelt usw.

Das liegt an der Entstehungsgeschichte: Die Christmas-Box-Kollektion begann als Privatvergnügen. Immer im Dezember, im Zeitraum von 2001 bis 2005, nahm Sufjan Stevens mit seinen Hippie-Neo-Folk-Freunden in seiner Brooklyner Wohnung Weihnachtslieder mit den gerade herumliegenden Instrumenten – also Banjo, Oboe, Casio, Flöte, Gitarre, Glockenspiel und Hammondorgel – auf und verschickte sie mit herzigen Segenssprüchen versehen in alle Welt. Die Stücke tauchten als Download im Netz auf und die Fans verlangten nach der CD, so die Mär der Plattenfirma.

Die Christmas Box enthält noch fünf Weihnachtsaufkleber mit lieben Rehlein und gutmütigen Löwen, ein Songbook mit Gitarrengriffen, ein Porträt von Sufjan Stevens samt Familie, Kurzgeschichten von Stevens, ein Weihnachtsessay, ein Zeichentrick-Musikvideo und einen Comic. Der ganze Kitsch, die klebrige Harmonie manifestieren sich bereits in den lieblichen CD-Titeln: „Noel“, „Hark!“, „Ding! Dong!“, „Joy“ und „Peace“. Lange muss man sich auf CD 1 und 2 durch Casiosounds und Banjogeplucker hören, bis dann auf CD 3 der bekannte pastorale Folkstil mit seinem Optimismus und zeremoniellem Pomp einsetzt.

Und dann die Wiederholungen! „Lo! How A Rose E'er Blooming“ – im Original „Es ist ein Ros' entsprungen“ – hat es etwa gleich zweimal auf die CD geschafft. Das alles wäre arg überflüssig, wären unter den 42 Liedern nicht auch 17 Eigenkompositionen, die prächtig arrangiert, breit orchestriert und in schönster Melodieführung begeistern. Außerdem kann man anhand der CDs schön chronologisch die musikalische Entwicklung Stevens vom Open-Mike-Banjozupfer zum Chamber-Folk-Bandleader verfolgen. Und ist man bei den CDs 4 und 5 und bei dem wunderbaren „Sister Winter“ angelangt, verzeiht man alles, sogar, dass die CD zu weiten Teilen wie eine evangelische Weihnachtsfeier klingt.

CHRISTIANE RÖSINGER