Die Polizei als Hacker

VON CHRISTIAN RATH

Wenn die Polizei wissen will, was ein vermeintlicher Terrorist, Betrüger oder Kinderpornograf auf seiner Festplatte gespeichert hat, muss sie den Computer beschlagnahmen oder zumindest eine Kopie der Festplatte anfertigen. Das alles geschieht offen und nach Möglichkeit im Beisein des Betroffen. Seit einigen Jahren nutzt die Polizei aber immer wieder auch den heimlichen Weg. Ohne die Wohnung zu betreten, verschafft sie sich wie ein Hacker Zugriff auf Computer, die mit dem Internet verbunden sind. So kann sie heimlich prüfen, was alles auf dem Rechner gespeichert ist. Explizit geregelt sind solche Online-Durchsuchungen bisher nicht. Aber der Bundesanwaltschaft war klar, dass bei einem so schwerwiegenden Grundrechtseingriff eine richterliche Genehmigung erforderlich ist. Die hat sie bisher vom Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof auch stets bekommen. Doch jetzt hat sich der Wind gedreht.

Am 25. November hat BGH-Ermittlungsrichter Ulrich Hebenstreit die Praxis der Online-Durchsuchungen für illegal erklärt. Sein Beschluss ist noch nicht veröffentlicht, liegt der taz aber vor. Entsprechende Anträge der Bundesanwaltschaft seien nicht genehmigungsfähig, erklärt der Richter. Es handele sich „um einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung“, dem die „notwendige gesetzliche Gestattung“ fehle.

Die bisher genutzte Vorschrift zur Überwachung der E-Mail-Kommunikation – Paragraf 100a Strafprozessordnung (StPO) – genüge nicht, so der Richter, weil „der Kommunikationsvorgang abgeschlossen ist“, sobald die E-Mail auf dem Rechner gespeichert ist. Außerdem könnten bei der Online-Durchsuchung ja nicht nur E-Mails, sondern auch alle anderen Daten ausgespäht werden. Auch die Vorschriften über Hausdurchsuchungen (Paragraf 102 StPO) passten nicht, so Richter Hebenstreit. Die Durchsuchung sei eine grundsätzlich auf Offenheit angelegte Maßnahme; wenn der Wohnungsbesitzer abwesend ist, sind Zeugen beizuziehen. Die heimliche Online-Durchsuchung ziele dagegen darauf ab, diese Schutzrechte des Betroffenen gezielt zu umgehen.

„Das Bundesinnenministerium hat Online-Durchsuchungen des Bundeskriminalamtes bis auf weiteres gestoppt“, sagte gestern ein Sprecher von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) zur taz. Bisher habe das BKA solche Maßnahmen aber nur „in wenigen Fällen“ angewandt.

Das aber sollte anders werden. Im „Programm zur Stärkung der Inneren Sicherheit“ hatte Schäuble dem BKA erst in diesem Herbst zusätzliche Mittel verschafft, um solche PC-Screenings künftig häufiger durchführen zu können. Auch Landespolizeien haben bisher schon Privatcomputer gehackt. Für die Genehmigung ist hier aber aber nicht der BGH, sondern das jeweilige Amtsgericht zuständig.

In Berlin hofft man nun, dass der BGH seine Rechtsprechung noch ändert. Gegen den Beschluss von Richter Hebenstreit hat Generalbundesanwältin Monika Harms Beschwerde eingelegt, über die ein BGH-Senat entscheidet. Wenn dieser den gut begründeten Beschluss bestätigt, will die Bundesregierung eine gesetzliche Grundlage für Online-Durchsuchungen schaffen. In Frage kommt eine Regelung im BKA-Gesetz oder in der Strafprozessordnung.

Die erste gesetzliche Erlaubnis für Online-Durchsuchungen schafft derzeit Nordrhein-Westfalen – für den dortigen Verfassungsschutz. Die Maßnahmen sollen nicht von Gerichten genehmigt werden, sondern von der im Landtag gewählten so genannten G-10-Kommission. Das Gesetz soll in zwei Wochen beschlossen werden.