Harmloser Stalin, zerrupfte Taube

Eine neue Studie zu Picasso zeigt, wie gekonnt der Künstler die Kommunistische Partei und die Medien in Schach hielt

Nicht als Maler von „Guernica“, sondern erst als Parteimitglied wurde Picasso als politischer Künstler berühmt

Picassos Purpur-Periode? Zuerst einmal befürchtet man eine Bildungslücke. Malte der Meister etwa zwischen seiner blauen und seiner rosa Periode für kurze Zeit bevorzugt in Purpur? Nein, das tat er nicht, und auch in keiner anderen seiner vielen Werkphasen könnte man ihm eine besondere Vorliebe für diese Farbe nachsagen.

Der Kunsthistoriker Loel Zwecker, der diesen Begriff prägte und zum Titel eines Buchs machte, spielt vielmehr auf die metaphorisch-symbolische Dimension des Purpur an. Für ihn drückt sich darin „schillernde Macht“ aus. Dass – und wie – Picasso über sie verfügte, ist das Thema dieser Studie, die den Jahren 1944 bis 1953 gewidmet ist, in denen der Künstler seine wohl größte öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr.

Dabei arbeitet Zwecker präzise und anschaulich heraus, wie Picasso vor allem durch seinen Eintritt in die Kommunistische Partei Frankreichs (KPF) im Oktober 1944 bis dahin ungeahnte Chancen zu medienwirksamen Auftritten erhielt. Kein anderer Künstler zuvor oder danach landete als Person oder mit seinem Werk so oft auf Titelseiten von Zeitungen wie Picasso im ersten Nachkriegsjahrzehnt. Zwecker macht klar, dass nicht etwa schon der Maler von Guernica (1937), sondern erst der zum Parteimitglied gewordene Picasso als politischer Künstler und Moralist wahrgenommen wurde.

Das Hauptinteresse des Autors aber gilt der Frage, wie es Picasso schaffte, zwar die medialen Möglichkeiten zu nutzen, die ihm die Partei bot, sich dabei jedoch keineswegs sonderlich verpflichtet fühlte, parteikonform aufzutreten. An mehreren Beispielen zeigt Zwecker dies detailliert, sehr gut recherchiert und dabei immer spannend geschrieben auf. So geht er etwa der Geschichte der berühmten Friedenstaube nach. Das erste Mal tauchte sie auf dem Plakat für den „Internationalen Kongress der Friedensaktivisten“ („Congrès Mondial des Partisans de la Paix“) im April 1949 auf, wobei Picasso einfach ein bereits Monate zuvor entstandenes Tusche-Blatt verwendete. Damit war ein Bezug zum Inhalt des Plakats nur vage gegeben.

Zwar mag der Heilige Geist als Taube dargestellt worden sein, doch warum sollten sich gerade die Linken auf diese ikonographische Tradition beziehen? Außerdem lösen Tauben nicht nur positive Assoziationen aus, und Picasso selbst hatte ihnen sogar mehrfach einen grausamen Charakter nachgesagt. Doch gerade weil die Motivwahl so deutungsbedürftig war, wurde auch so viel darüber geschrieben. Zahllose Artikel und Karikaturen in Zeitschriften sorgten erst dafür, dass die Taube als Friedenssymbol „eingeklopft“, ja zur Ikone erhoben wurde. Für Zwecker handelt es sich dabei um „ein umgekehrtes Readymade“, wird hier doch ein Kunstwerk erst dadurch, dass es den engen Raum der Kunst verlässt und in Alltagszusammenhänge gerät, zu einem Werk höherer – und rätselhafter – Bedeutung.

In weiteren Varianten des Motivs spielte Picasso auf einzelne Deutungen an, die seine Taube erfahren hatte, schuf aber vor allem neue Rätsel. Für das Plakat desselben Kongresses im Jahr 1950 zeichnete er eine merkwürdig zerrupfte Taube, und zwei Jahre später ist sie „auffällig schwer, um sich als Friedensbote in die Lüfte zu erheben“. Muss man also vermuten, dass Picasso sich über seine politischen Freunde, die ihm zu fantastischen Reproduktionszahlen seiner Werke verhalfen, lustig machte?

Wer Zweckers Buch gelesen hat, wird nicht zögern, diese Frage zu bejahen. So lässt nicht nur schmunzeln, wie Picasso sich mit den Forderungen nach einem sozialistischen Realismus auseinandersetzte, sondern vor allem staunt man darüber, mit welcher Dreistigkeit der Künstler den Parteiauftrag behandelte, nach Stalins Tod ein Porträt des obersten aller Kommunisten anzufertigen. Weder weist Picassos Zeichnung große Ähnlichkeit zu Stalin auf, noch zeigt sie ihn als eine besondere Figur. Das Porträt wirkt einfach nur „harmlos“, wie Zwecker bemerkt. Aber gerade diese Harmlosigkeit war für die Partei natürlich ein Skandal. Spätestens jetzt, 1953, wurde offenbar, dass es Picasso darum ging, mit Humor und Kalkül seinen eigenen Ruf als unberechenbar-vielseitiger Künstler zu festigen. „C’est du Picasso“ sagt im Französischen seither, wer etwas für verwirrend oder merkwürdig hält. WOLFGANG ULLRICH

Loel Zwecker: „Picassos Purpur-Periode. 1944–1953“. Jonas Verlag, Marburg/Lahn, 143 Seiten, 52 S.-W.-Abbildungen, 20 €