Schattenwelt des Glamours

„Du könntest wirklich gut sein“: In „A Photographer’s Life“ setzt die edle Celebrity-Fotografin Annie Leibovitz überraschend intim ihre Trauer um die jahrelange Lebensgefährtin Susan Sontag ins Bild

VON DANIEL SCHREIBER

Sechzehn Jahre leidenschaftlichen Reisens in die entlegendsten Orte der Welt. Gemeinsame Arbeit am Foto- und Essayband „Women“. Kulturelle Interventionsarbeit im kriegerischen Sarajevo. Eine gemeinsame Maisonette in Paris. Als die Fotografin Annie Leibovitz ihr Idol Susan Sontag 1988 erstmals ablichtete, konnte sie nicht ahnen, dass sie die nächsten anderthalb Jahrzehnte miteinander verbringen würden, in einer so intensiven wie weitläufigen Liebesbeziehung, die als das offene Geheimnis zweier strenger Image-Verwalterinnen galt. Weshalb Leibovitz auch in ihrem autobiografischen Einführungstext zu „A Photographer’s Life. 1990–2005“, dem Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung im Brooklyn Museum in New York, die Worte „lesbisch“ oder „Lebensgefährtin“ nicht in den Mund nimmt.

Enthielt Leibovitz’ Fotoband „Photographs 1970–1990“ vor allem ihre bekannten Star-Fotos für den Rolling Stone, Vanity Fair und Vogue, werden die Auftragsarbeiten in „A Photographer’s Life“ mit großflächigen, monochromen Landschaftsaufnahmen, privaten Familienfotos und kleinformatigen Schwarz-Weiß-Porträts von Sontag kontrastiert. Und deren überraschende emotionale Durchschlagskraft stellt das bisherige Oeuvre der Fotografin in den Schatten.

Die Leibovitz-Porträts von Amerikas Schönen, Reichen und Mächtigen sind die aufwändigsten Fotos der Welt. Ihre Budgets gleichen denen mittelgroßer Independentfilme und ihre Produktion erfordert sowohl mehrere Drehtage als auch ein Team von 53 Assistenten, Beleuchtern und Make-up-Künstlern. Und unbestreitbar bringen es die Ausstellungsfotos von Scarlett Johannson, Donald Trump oder George W. Bush damit zur kunstvollen Perfektion im Genre der Hochglanzfotografie und auch zu einer popkulturellen Relevanz. Doch neben Leibovitz’ Sontag-Aufnahmen wirken die glamourösen Retouchen der Bilder nichtsdestoweniger kurzatmig. Durch den Kontrast werden zudem die Grenzen ihrer klassischen Komposition augenfällig, von ihrer vorsichtigen Theatralik und ihrer so belanglosen wie autoritativen Ästhetik.

So mag das einstmals kontroverse Porträt der splitternackten, hochschwangeren Demi Moore dem nachhaltigen Trend von bauchfreier Umstandsmode und stolzem Babybauchexhibitionismus den Weg gebahnt haben. Aber als Fotografie ist es wenig mehr als eine schöne, mit Diamantohrringen garnierte Ode an den fehlerlosen, cellulosefreien und reproduktionstüchtigen weiblichen Körper.

Beim Blick auf das Foto der schwangeren 51-jährigen Leibovitz dagegen, für das Susan Sontag auf den Auflöser gedrückt hat, muss man erst mal schlucken. Sie nimmt die gleiche, brustverdeckende und bauchstützende Pose ein, aber ohne die Körperbeherrschung der Schauspielerin, ohne ihre schönen Oberschenkel und ohne ihre perfekte Haut. Man sieht Leibovitz ihre Unsicherheit an, desgleichen die liebevolle und schamfreie Beziehung zur kamerahaltenden Lebensgefährtin. Es ist ihr Stolz auf die Erfahrung der späten Schwangerschaft, der dem Bild das Potential zum Skandal gibt – das einer alternden, nackten Schwangeren.

Eine ähnliche Wirkung haben die Bilder, die Sontag ins Visier nehmen. Vielleicht, weil auch sie Produkte eines kompliziert liebenden Blicks sind, vielleicht, weil Leibovitz bei ihrem Thema, nämlich der amerikanischen Star-Kultur, bleibt. Foto-Legenden wie Richard Avedon, Andy Warhol, Jill Krementz, Nan Goldin oder Peter Hujar haben mit ihren Porträts dazu beigetragen, das Bild von Sontag als einer einschüchternd attraktiven, intellektuellen Amazone ins öffentliche Bewusstsein zu brennen.

„A Photographer’s Life“ hingegen dokumentiert den unaufhaltsamen biologischen Verfall der ikonischen Figur und setzt auf die mitunter voyeuristische Logik von Schock und Mitleid. Mehrfach wird Sontag nackt in der Badewanne abgebildet, mit der Hand über der großen Narbe, die von der brustkrebsbedingten Mastektomie zurückgeblieben ist. Man wird mit vier bestürzenden Aufnahmen während ihrer Gebärmutterkrebserkrankung konfrontiert: delirierend, nackt und hilflos im Krankenbett, kaum wahrnehmend, wie sie von einer Pflegerin gewaschen wird. Gegen Ende ihrer dritten und tödlichen Krebserkankung sieht man, wie die große Intellektuelle, sediert und nicht mehr bei Bewusstsein, in eine Luftambulanz getragen wird, die sie von Seattle nach New York fliegen soll. Schließlich ist sie auf dem Totenbett kurz vor ihrer Beisetzung im Pariser Montparnasse aufgebahrt, in italienischem Designerkleid und bis zur traurigen Unkenntlichkeit aufgebläht.

Diese dunklen und zuweilen morbiden Motive brechen in die Schattenwelt des Celebrity-Daseins ein und zeigen, was man normalerweise nicht zu sehen bekommt: die Krankheit der Stars, ihre körperliche Degeneration und ihren Tod. Es fiele schwer, diese Arbeiten nicht als ein mit Bedacht inszeniertes Gegenprogramm zu den Auftragsporträts von Leibovitz zu lesen – als ein künstlerisches Gegenprogramm zur Unsterblichkeitsfantasie, die hinter den farbgesättigten, übermenschlich perfekten Oberflächen der Star-Fotografie steckt. Susan Sontag selbst hätte dies gefallen, ließ Annie Leibovitz kürzlich in einem Interview mit der Washington Post verlauten. „Du könntest wirklich gut sein“, soll die Intellektuelle ihr bei jener ersten, folgenschweren Begegnung gesagt haben – und diesem Diktum ist die Fotografin nun gefolgt.

Bis 21. 1. 7, Brooklyn Museum, New York. Annie Leibovitz: „A Photographer’s Life. 1990–2005“. Random House, New York 2006, 75 $