„Hamburg hat was aufzuholen“

Die SPD muss konkreter werden, wenn sie eine „Schule für alle“ will, sagt GAL-Fraktionschefin Christa Goetsch. Die Grünen würden schon 2009 mit gemeinsamen Klassen und Bildungsplänen beginnen

INTERVIEW KAIJA KUTTER

taz: Frau Goetsch, wie finden Sie das Ergebnis des SPD-Bildungsparteitags?

Christa Goetsch: Die SPD hat sich mit ihrem Bekenntnis zur „Schule für alle“ gegenüber ihren Positionen von 2001 sehr bewegt. Es gibt aber eine Reihe ungeklärter Fragen.

Zum Beispiel?

Wenn ich wirklich eine „Schule für alle“ will, muss ich klären: Wie verhindere ich die Auslese der Kinder nach Klasse 4? Was wird aus den Förderschulen? Und wie verhindere ich, dass die neue Stadtteilschule nicht doch nur zur Restschule wird, wenn in einer Übergangszeit die Gymnasien noch bestehen?

Die SPD will ja die „Stadtteilschule für alle“: Je nach Stadtteil könnte demnach eine bestehende Gesamtschule, eine zusammengeführte Haupt- und Realschule (IHR) oder ein Gymnasium die Schule sein, auf die alle Kinder vor Ort gehen und wo sie bestmöglich gefördert werden.

Das wird nicht funktionieren. Es wird in bestimmten Stadtteilen eine Schulflucht erzeugen. Und was mache ich in gutsituierten Stadteilen, wo 70 Prozent aufs Gymnasium gehen? Da bleibt für die Übrigen nur die Restschule. Das ist nicht zu Ende gedacht, wenn man eine Schule für alle will.

Laut SPD-Beschluss wird die Schullaufbahnempfehlung nach Klasse 4 abgeschafft. Es könnten alle zum Gymnasium gehen.

Auch wenn es diese offizielle Empfehlung nicht mehr gibt, wird der Rat der Lehrer in Gesprächen an die Eltern der gleiche sein.

Der SPD-Schulpolitiker Willi Buss sagt, die GAL fordere nur eine „Schule für alle“, zeige aber nicht den Weg dahin.

Das ist Kokolores. Wir haben bereits 2004 in unserem Haushaltsantrag die Schritte dahin aufgezeigt.

Sind die anders als die der SPD? Die Fusion von Haupt- und Realschulen zu IHR-Schulen – oder Stadtteilschulen – wäre doch auch Ihr erster Schritt.

Ja. Das ist überfällig. Das könnte man schon im August 2007 schlicht per Rechtsverordnung sofort tun.

Also: Welche Schritte würden Sie gehen?

Wollen wir wirklich eine Schule für alle, müssen wir weiter gehen. Das heißt: Ab 2009 starten alle Kinder der 1. Klassen mit der Perspektive, dass sie neun Jahre zusammenbleiben. Dafür müssen wir Langformen bilden. Grundschulen suchen sich Partnerschulen. Und die 5. Klassen starten mit Bildungsplänen, die für die ganze Stufe konzipiert sind und nicht mehr nach Schulform unterscheiden. Wir brauchen eine Fortbildungsoffensive für Lehrer, damit diese lernen, wie sie individualisiert unterrichten. Dann ist die Frage, ob man dies Region für Region einführt.

So wie in den 1990er Jahren bei der Verlässlichen Halbtagsschule?

Ja. Das hat Schulsenatorin Rosie Raab damals klug gemacht. Das sind alles Dinge, die mit Sorgfalt bedacht werden müssen und einen Vorlauf benötigen. Das ganze ist eine epochale Aufgabe. Deshalb sage ich: Das geht frühestens 2009.

Wären diese Schritte auf Basis des SPD-Beschlusses möglich?

Sie wären möglich.

Es gibt Stimmen, die sagen, das Bekenntnis der SPD sei nur ein Alibi. In Wirklichkeit wolle die Partei das Zwei-Säulen-Modell aus Stadtteilschule und Gymnasium.

Das wird sich zeigen, wenn im März auch die SPD in der Schul-Enquetekommission ihre Empfehlungen abgibt. Das wichtigste ist, dass wir das Entstehen von Restschulen verhindern.

Wie würde das bei ihrem Szenario gewährleistet?

Indem kein Schüler mehr aufgrund von Leistung oder Elternhaus an bestimmten Schulen angemeldet wird.

Sie sagten, es soll einen Bildungsplan geben. Gibt es da nicht den Aufschrei bei der Gymnasialklientel: „Hilfe, mein Kind wird zu wenig gefordert!“?

Es werden Bildungspläne mit Kompetenzstufen sein. Das heißt nicht: Alle lernen das Gleiche. Wir werden die Schwachen fördern und den Starken genug bieten. Auch auf den Gymnasien gibt es oft nur ein Angebot für die Mitte.

Sie wollen, dass mehr Kinder hohe Abschlüsse erzielen. Wie begegnen Sie den Ängsten, die da unter den bisher Privilegierten aufkommen?

Durch Überzeugungsarbeit. Wir wollen eine neue Schule, die kein Kind verloren gehen lässt und alle Stärken fördert. Die erfolgreichen Städte der Welt haben einen hohen Anteil an gut ausgebildeten Menschen. Da hat Hamburg was aufzuholen.