Mit der Sucht im Knast

Das Land unterstützt eine Bundesratinitiative, um für Suchtkranke die Reihenfolge im Justizvollzug umzudrehen. Künftig soll gelten: Strafe vor Therapie. Die Experten begrüßen das

VON BENJAMIN WASSEN

Im Gesetz heißt es lapidar: Wenn ein suchtkranker Häftling eine Therapie machen soll, dann wird die „vor der Strafe vollzogen“. Das ist klar und eindeutig, aber auch genauso schlecht. Denn eine „vernünftige Therapie sieht Lockerungen vor“, erläutert Uwe Steinkrüger vom Landschaftsverband Rheinland. Das ginge natürlich nicht, wenn dem Patienten klar ist, dass er im Anschluss an die Therapie ins Gefängnis muss. „Wenn wir so einem Patienten Freigang geben, dann haut der natürlich ab. Und wenn es keinen Freigang gibt, dann fehlt ihm jede Motivation.“ Also sei die Reihenfolge „Strafe vor Therapie“ erheblich sinnvoller. Denn Teil einer Therapie müsse immer die Vorbereitung auf die Freiheit sein. „Sie müssen ja auch lernen, an einem Büdchen mit dem ganzen Alkohol vorbei zu gehen“, so Steinkrüger.

Dabei seien „reine Alkoholiker“ in den Haftanstalten eher selten. Viele suchtkranken Häftlinge „nehmen alles, was sie in die Finger kriegen“ , sagt Norbert Leygraf, Direktor des Institutes für forensische Psychiatrie der Uniklinik Essen. Er fordert seit Jahrzehnten die Umkehr der Vollzugsreihenfolge. Die Sorge, dass dann Junkies im Gefängnis einen kalten Entzug durchleben müssten, hält er für unbegründet. „Bei kurzen Haftzeiten wird mit Methadon substituiert, ansonsten warm entzogen.“ Das heißt, die Sucht wird mit immer kleineren Dosen runtergefahren. Dabei bleibe „der Drang nach dem Kick“ aber bestehen und könne auch nur mit einer echten Therapie bekämpft werden, so Leygraf.

Nordrhein-Westfalen hat sich nun einer bayerischen Bundesratsinitiative angeschlossen, um die im Strafgesetzbuch vorgeschriebene Vollzugsreihenfolge umzudrehen. Es sei schließlich unsinnig, „einen Menschen erst erfolgreich gegen seine Sucht zu behandeln, auf die Freiheit vorzubereiten und ihn dann zurück in den Strafvollzug zu schicken“,so ein Sprecher des NRW-Sozialministeriums. Im Moment liegt das Verfahren im Rechtsausschuss des Bundestages.

Einen Knast, in dem keine Drogen genommen werden, gibt es nicht, sagt Detlef Wenzel vom Justizvollzugsamt: „Der Suchtdruck der Abhängigen ist einfach zu groß.“ Daher würden Drogen auch immer ihren Weg in den Knast finden, etwa in den Körperöffnungen von Häftlingen, die Freigang hatten. Dass bisher die Regel „Therapie vor Strafe“ galt, hatte einen einleuchtenden Grund: Abhängige Menschen sollten nicht allzu lange mit ihrer Krankheit leben müssen, sagt Psychiater Leygraf. In der Praxis habe sich die Regel aber als untauglich erwiesen.

Die Gruppe der Suchtkranken in NRW-Gefängnissen ist groß. „Im vergangenen Jahr waren 6.737 Insassen drogenabhängig“, sagt Wenzel. Das sind ein gutes Drittel aller Gefangenen. Nicht alle von ihnen sind vom Gericht zu einer Entwöhnung verurteilt worden. Denn das geht nur, wenn das Motiv der Straftat sich direkt aus der Drogensucht herleitet, etwa bei Beschaffungskriminalität. Das muss für jeden Straftäter im Verfahren geprüft werden.

„Bei vielen drogenabhängigen Haftinsassen besteht aber kein direkter Bezug zu ihrer kriminellen Handlung“, erklärt Leygraf. Vielmehr gebe es ein Nebeneinander vom Hang zu Suchtmitteln und Problemen mit dem Gesetz. „Das eine hat mit dem anderen nicht immer was zu tun.“

Suchtkranke, deren Freiheitsstrafe nicht mehr als zwei Jahre beträgt, haben außerdem die Möglichkeit, sich zum Ende der Haftzeit freiwillig in eine Therapie zu begeben. Davon wird recht rege Gebrauch gemacht. Im vergangenen Jahr konnten so 1.246 Suchtkranke in externe Therapiemaßnahmen vermittelt werden.

Es bleibt aber die große Gruppe, die weder zu einer Entwöhnung verurteilt wurde, noch freiwillig eine Therapie beantragen kann, weil die Haftstrafen dafür zu hoch sind. Für die gibt es in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Münster eine Drogenbehandlungsabteilung. „Hierhin können sich Häftlinge aus ganz NRW verlegen lassen“, sagt der stellvertretende JVA-Leiter Rolf Silwedel. Trotzdem seien die 13 Plätze nicht immer voll belegt. „Vielen ist so eine Therapie einfach zu stressig“, meint Silwedel. „Es ist anstrengend, ein Jahr lang nichts anderes zu tun, als sich über sich selbst Gedanken zu machen.“ Da blieben die Leute lieber auf ihren Zellen um fern zu sehen.