Exgeheimdienstler mit Geschäftssinn

In der Affäre Litvinenko avanciert der hochgewachsene Mittvierziger vom Hauptzeugen allmählich zum Hauptverdächtigen. Seit einer Woche wird Andrej Lugowoi in einem Moskauer Krankenhaus, abgeschirmt von russischen Sicherheitsstrukturen, auf eine Verstrahlung mit Polonium untersucht. Er fühle sich den Umständen entsprechend gut, ließ der frühere KGB-Offizier über seinen Anwalt mitteilen.

Lugowoi könnte es gewesen sein, der mit Dimitri Kowtun, einem Freund aus Kindertagen, dem Exagenten das tödliche Pulver in den Tee bröselte. Beide trafen Anfang November Litvinenko in London, der kurz darauf schwer erkrankte.

Lugowoi hat es in den letzten zwanzig Jahren als Sicherheitsexperte zu erstaunlichem Wohlstand gebracht. Als er 1986 in die Militärakademie des Obersten Sowjets eintrat, ahnte niemand, dass die konservative Kadettenschmiede so talentierte Geschäftsleute hervorbringen würde. Nach London zum Fußball reist der große Blonde meist im eigenen Privatjet. Poloniumspuren entdeckte Scotland Yard auch dort. Der KGB-Offizier, der sich in öffentlichen Etablissements nie mit dem Rücken zum Eingang setzt, bleibt bei seiner Version: Mit Litvinenkos Tod hätte er nichts zu tun. Er sei „reingelegt“ worden.

Lugowoi diente in den wilden Jahren des Umbruchs der Kremlspitze als Sicherheitschef. Erst 1996 wechselte er zu Boris Beresowski und übernahm den Sicherheitsdienst des Fernsehsenders ORT, der dem Oligarchen gehörte.

KGB-Mitarbeiter sind die geborenen Chamäleons, die jeder Strafverfolgung entkommen. Auch auf alte Netzwerke ist in Notfällen Verlass. Fast hätte dies im Leben Lugowois jedoch einmal nicht geklappt. 2001 unterlief ihm ein folgenreicher Fehler. Nikolai Gluschkow, Vizedirektor der von Beresowski kontrollierten staatlichen Fluggesellschaft Aeroflot, wurde verhaftet. Milliardär Beresowski sollte Devisen veruntreut und in eine eigene Schweizer Firma umgeleitet haben. Lugowoi wurde erwischt, als er den inhaftierten kranken Gluschkow aus einem Hospital befreien wollte. 14 Monate Untersuchungshaft folgten. Mit der U-Haft war die Strafe jedoch verbüßt, entschied ein Gericht nach Ablauf der 14 Monate.

Danach ging es wieder bergauf. Mit der Vermarktung eines Erfrischungsgetränks machte Lugowoi ein Vermögen. Die alten Freunde Kowtun und Wjatscheslaw Sokolenko von der Militärakademie kümmerten sich um die gemeinsame Wach- und Sicherheitsfirma. Umsonst ist in Russland nichts zu haben. Eine Bringschuld war noch offen. Vielleicht baten alte Kollegen um die Erledigung einer noch ausstehenden Gefälligkeit. KLAUS-HELGE DONATH