Kreml übernimmt Kontrolle über Sachalin

Der Ölkonzern Shell soll angeblich auf die Mehrheit beim größten Gasprojekt der Welt in Sibirien verzichten

BERLIN taz/rtr ■ Mit monatelangem Vorwürfen und Drohungen hat Russland offenbar den Ölmulti Shell in die Knie gezwungen. Der britisch-niederländische Konzern biete dem russischen Staatsbetrieb Gazprom die Kontrolle über das 17 Milliarden Euro teure Öl- und Gasprojekt Sachalin II an, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters gestern Industrievertreter. Shell habe sich demnach mit Gazprom geeinigt, seinen Anteil von 55 Prozent auf 25 Prozent am weltweit größten Öl- und Erdgasprojekt der Welt zu verringern. Offiziell wollten beide Konzerne gestern dazu keine Stellung nehmen.

„Wir sagen dazu gar nichts“, sagte Shell-Europa-Sprecher Rainer Winzenried der taz. Er bestätigte lediglich, dass am vergangen Freitag „konstruktive Gespräche“ zwischen den Konzernführern von Shell und Gazprom im Beisein des russischen Energieministers Maxim Shoob geführt worden seien. Darin sei es auch um neue Besitzverhältnisse gegangen, berichtet die Nachrichtenagentur dpa. Seit Monaten bemüht sich die russische Regierung, ihren Energiekonzern Gazprom zum Teilhaber des westsibirischen Sachalin-II-Projektes zu machen. Neben Shell sind daran bislang noch die beiden japanischen Konzerne Mitsui und Mitsubishi mit 45 Prozent beteiligt. Auch sie würden nach dem Einstieg Gazproms ihren Anteil laut Reuters auf insgesamt 20 Prozent reduzieren.

Sachalin II ist bereits zu 80 Prozent fertiggestellt. Es besteht im Kern aus zwei Offshore-Förderplattformen vor der westsibirischen Insel Sachalin sowie einer 1.870 Kilometer langen Pipeline. Sie durchkreuzt hunderte Flussläufe. Umweltschützer kritisieren, dass dadurch Fischlaichgebiete gestört und eine wichtige Existenzgrundlage der Bevölkerung zerstört würde. Die Pipeline führt zu einer riesigen Anlage zur Erdgasverflüssigung. Ab 2008 soll das dort produzierte Gas nach Japan, Südkorea und in die USA verschifft werden.

In den vergangenen Monaten hat die Moskauer Regierung Shell mit Umweltschutz-Vorwürfen immer wieder unter Druck gesetzt und wiederholt mit dem Entzug von Lizenzen gedroht. Westliche Politiker und Analysten werfen dem Kreml jedoch vor, den Umweltschutz als Vorwand zu nutzen, um den Einstieg von Gazprom in das Öl- und Gas-Projekt Sachalin II zu sichern. Russland hatte aufgrund einer Vereinbarung aus den frühen 90er-Jahren keine Anteile an dem Projekt. „Die Zeiten, in denen ausländische Konzerne allein über russische Öl- und Gasprojekte bestimmen, sind nun endgültig vorbei“, kommentierte gestern der Analyst Stephen O’Sullivan von der Deutschen Bank Moskau die Entwicklung. TA