Liebe braucht Zeit

Mit der Erstausstrahlung von „Shandurai und der Klavierspieler“ (22.25 Uhr) startet 3sat eine Retrospektive auf Bernardo-Bertolucci-Filme

Von Bert Rebhandl

In einer alten Stadt wie Rom gibt es sie noch, diese verwinkelten Häuser, von denen man erst herausfinden muss, wo sie eigentlich aufhören. Die Afrikanerin Shandurai (Thandie Newton) lebt in einem Gebäude dieser Art. Sie putzt die Zimmer, sie staubt die Statuen ab, die leuchtend weiße Bettwäsche hängt sie auf eine der Terrassen, und gelegentlich hört sie auch den Mann, der dieses Labyrinth bewohnt, auf dem Klavier spielen.

Mister Kinsky (David Thewlis) ist ein zurückgezogen lebender Virtuose. Sein Herz ist voll, aber er schweigt von seinen Gefühlen, und wenn er einmal davon spricht, dann bricht es gleich ein wenig zu unvermittelt aus ihm heraus: „Liebe mich, Shandurai!“ Liebe aber braucht ihre Zeit. Davon erzählt Bernardo Bertolucci in „Shandurai und der Klavierspieler“, seinem vorletzten Film, der inzwischen fast acht Jahre zurückliegt, aber noch nie im deutschen TV zu sehen war. Danach hat er nur noch eine Episode zu „Ten Minutes Older: The Cello“ und „Die Träumer“, eine Rückschau auf 1968 nach einem Buch von Gilbert Adair, fertiggestellt. Für 2007 ist „Bel Canto“ angekündigt, ein in Lateinamerika spielender Thriller.

Das weltbürgerliche Interesse von Bertolucci prägt auch „Shandurai und der Klavierspieler“ (Originaltitel: „Besieged“). Er beginnt mit einem Prolog in Afrika, wo Shandurai in einer Klinik für Kriegsversehrte arbeitet. Als sie mit ihrem Rad von der Arbeit nach Hause fährt, wird sie Zeugin, wie ihr Mann gefangen genommen wird – die Machtverhältnisse, zu denen er in Opposition steht, bleiben bewusst vage, denn es geht nicht um ein bestimmtes Land, sondern um einen grundsätzlicheren kulturellen Unterschied.

Nach einem Erzählsprung lebt Shandurai in Rom im Exil. Sie studiert erfolgreich Medizin, ist ganz gut integriert, gibt aber ihre prinzipielle Zurückhaltung nie auf. Sie bleibt Afrikanerin, und sie bleibt eine verheiratete Frau, auch wenn das Schicksal ihres Ehemanns ungewiss ist. Die Beziehung zu Mister Kinsky entwickelt sich nahezu wortlos – der Engländer lebt diskret an ihr vorbei, beobachtet sie aber genau und legt sein ganzes Begehren in die Musik. „Ich verstehe diese Musik nicht“, sagt Shandurai an einer Stelle, und Bertolucci versäumt es nicht, die Unterschiede zwischen europäischer Klaviermusik und afrikanischen Rhythmen zu betonen. Dass er dabei auch an die Grenze des Geschmacklosen geht (etwa wenn er Shandurai beim Putzen den Takt aufgreifen lässt, sie schwingt dann den Besen in perfekter Harmonie zwischen „Ebony and Ivory“), ist typisch für das Alterswerk eines Filmemachers, der das Stadium der (Psycho-)Analyse hinter sich gelassen hat und nun gelegentlich ein wenig schwelgerisch wird.

In „Shandurai und der Klavierspieler“ vollziehen sich wesentliche Dinge im Verborgenen, es würde reichen, sie anzudeuten und das Begreifen der Figuren zu zeigen. Bertolucci zeigt dazu aber immer noch auch die Auflösung, sodass sein Film alle Geheimnisse ständig auch wieder ausplaudert. Die Kunst der Verschlüsselung, die das Bewusstsein und das Kino (und die Musik) gemeinsam haben, ist seine Sache nicht mehr.

Im Anschluss zeigt 3sat um 23.55 Uhr noch ein „Kennwort Kino“-Special zu Bertolucci. Weitere Filme: „Der Konformist“, 13. 12., 22.25 Uhr; „Der Himmel über der Wüste“, 14. 12., 22.25 Uhr; „Der letzte Tango in Paris“, 15. 12., 22.20 Uhr; „Der letzte Kaiser“, 17. 12., 21.15 Uhr; „1900 (1)“, 20. 12., 22.25 Uhr; „1900 (2)“, 21. 12., 22.25 Uhr