BERLIN - VON KENNERN FÜR KENNER Jenseits von Laptops

Natalie Tenbergs Gastro- und Gesellschaftskritik: Das Café Altes Europa in Berlin Mitte setzt der WLAN-Arbeitskultur Ruhe und Müßiggang entgegen

Früher waren Cafés und Kneipen noch Orte, an denen man sich mit Freunden traf. Oder man las eine Zeitung, während man gemütlich einen Tee trank und etwas Leckeres zu essen bestellte.

Es sieht aus, als gingen diese Zeiten, zumindest in Berlin-Mitte, ihrem Ende entgegen. Seitdem das WLAN Einzug in die Gastronomie erhalten hat, ist es aus mit dem müßigen Vergnügen: Jetzt sind Cafés Orte, an denen man Dinge erledigen muss. Speisen und Getränke laufen nur noch nebenher, während man an einem Vortrag arbeitet, nach günstigen Flügen sucht oder Omas Weihnachtsgeschenk auf Ebay ersteigert. Dabei wird noch schnell über Skype gechattet.

Furchtbar modern kommt das rüber, ist aber im Grunde genauso rüpelig wie vor dem Fernseher zu essen. Das Café Altes Europa trotzt diesen imperialistischen Einflüssen von to go & Co. Hier wird man nicht gezwungen, eben auf den Rechner von Fremden aufzupassen, die mal gerade ihre Blase leeren möchten. Die Fremden sitzen nämlich da und lesen in einer der vielen Zeitungen, die in den großen Fenstern ausliegen. Zwei lange Mamorplatten liegen auf Holzböcken, das sieht leicht provisorisch aus, genau wie das Regal hinter der Theke. Stammt es vom edlen Designer oder doch aus dem Baumarkt? Jemand hat sich noch die Mühe gemacht, Rosen auf die Tische zu stellen. Sympathisch ist auch, dass der Tresen noch zum Sitzen da ist und sich dort die Stammgäste zum Plausch treffen. Ja, hier ist es gemütlich, vor allem, wenn es langsam dunkelt und man am Globus, der im Schaufenster auf dem Kopf hängt, ins regnerische Zwielicht blinzelt.

Wer zu dieser Stunde mit Hunger ins Alte Europa kommt, der wird aber genauso traurig werden, wie es die handgemachte Popmusik ist, die im Hintergrund spielt: Durchgehende Küche gibt es hier nämlich nicht, man tröstet sich mit Kuchen und Sahne. Ein schöner Trost ist das, die Kuchen sind hausgemacht und saftig, doch wie gerne hätten wir die deftigen Gerichte auf der Tageskarte probiert!

Wirsing, Schmorgurken und Hackbraten – es scheint, als bestrafe das Leben auch den, der zu früh kommt. Dem Trend zum Frühstück oder Brunch verweigert sich das Alte Europa auch hartnäckig, der Laden öffnet erst um 12 Uhr, was die größten Hektiker gleich verprellt. Der Lohn des Minimalismus ist, dass in dem Café noch Ruhe und Müßiggang herrschen. Hier muss nichts erledigt werden, hierher kann man vor der auftürmenden Arbeit fliehen, wenn es sein muss, bis spät abends.

ALTES EUROPA, Gipsstr. 11, 10119 Berlin-Mitte, Tel. (0 30) 28 09 38 40, U-Bahn Weinmeisterstraße, tägl. ab 12 Uhr bis open end, Cola € 2, Augustiner vom Fass € 2,30, Latte macchiato € 2,20, Küche wochentags 12–15 Uhr, abends ab 18 Uhr