Ségolène Royal von Mülheim

Fast messianisch feiern die NRW-Sozialdemokraten ihre neue Spitzenfrau. Doch Politologen und Meinungsforscher bezweifeln, dass Hannelore Kraft die Genossen schnell wiederbeleben kann

VON MARTIN TEIGELER

Am dicksten trug Kurt Beck auf. Die designierte NRW-Parteichefin Hannelore Kraft sei „eine glänzende politische Figur“, sagte der SPD-Bundesvorsitzende gestern etwas ölig. Der Boss gibt den Ton vor: Fast messianisch und voller Überschwang feiern die Sozialdemokraten den Personalwechsel im größten Landesverband. Vom zurückgetretenen Jochen Dieckmann (taz berichtete) redet niemand mehr. Hannelore Kraft, die Ségolène Royal aus Mülheim an der Ruhr, ist die Lichtgestalt der roten Opposition. Wie die Sozialisten in Frankreich setzen die NRW-Sozialdemokraten bei der Rückeroberung der Macht auf eine Frau.

19 Unterbezirksvorsitzende der NRW-SPD haben eine Erklärung für Kraft verfasst. „Wir unterstützen eine Kandidatur von Hannelore Kraft für das Amt der Vorsitzenden der NRW-SPD auf einem Parteitag im Frühjahr 2007“, heißt es da. „Man musste sich für ein Gesicht entscheiden“, sagt der Mönchengladbacher Unterbezirksvorsitzende Hans-Willi Körfges, einer der Initiatoren des Appells. Die Konzentration auf eine Person als Gegenspielerin zu CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers sei richtig. Im Präsidium der Landes-SPD habe es auch kritische Einwände zum Zeitpunkt der Rochade gegeben – insgesamt aber stehe die Partei geschlossen hinter dem Wechsel von Dieckmann zu Kraft, so Körfges. Auch die Mitglieder fassten eineinhalb Jahre nach dem traumatischen Machtverlust an Rhein und Ruhr wieder neuen Mut, sagt der Landtagsabgeordnete: „Wir glauben daran, dass sie Rüttgers bei der Landtagswahl 2010 besiegen kann.“

Manfred Güllner vom Meinungsforschungsinstitut Forsa ist da skeptischer. „Die NRW-SPD sollte nicht an Wahlen denken, sondern an ihre Existenz“, sagt er. Die Partei habe das Vertrauen der einst treuen NRW-Wählerschaft verloren und müsse ganz neu anfangen. Auch mit einer weiblichen Kandidatin stehe die Partei nicht automatisch besser da: „Frau Kraft kennt doch kein Mensch – genauso wie zuvor Herrn Dieckmann“, sagt Güllner. Dass sie eine Frau ist, sei den Wahlberechtigten „völlig schnuppe“.

„Hannelore Kraft ist eine ehrgeizige Politikerin, aber neue Ideen, die die SPD in NRW dringend braucht, sind bisher nicht zu sehen“, sagt der Politikwissenschaftler Klaus Schubert von der Universität Münster. Die 45-jährige Ex-Wissenschaftsministerin könne auch nicht auf einen Frauenbonus hoffen. „Die große Frauenwelle ist vorbei“, sagt Schubert. Spätestens seit Angela Merkel Kanzlerin ist, sei es normal, dass Frauen auch in der Politik führen. Besonders schwer habe es die SPD mit dem NRW-Landesvater, sagt der Parteienforscher. Rüttgers‘ landespolitische Bilanz sei zwar bescheiden, aber er besetze erfolgreich SPD-Positionen. Schubert: „Rüttgers ist mit seiner Positionierung im CDU-Richtungsstreit dabei, eine bundespolitische Figur zu werden.“ Sein Versuch, nach dem Vorbild CSU aus NRW ein zweites Bayern zu machen, könne funktionieren.

Kraft dagegen muss eine Partei aus der Depression führen, die nur noch ein Viertel der 396 Bürgermeister im Land stellt. Eine Partei, die den 22. Mai 2005 bis heute weder programmatisch aufgearbeitet noch mental verdaut hat. „Keine Frage, wir gehen durch ein tiefes Tal“, sagt ein SPD-Bundestagsabgeordneter aus NRW. Krafts Vorgänger Dieckmann habe zu wenig getan, um der Partei Selbstvertrauen zu geben. Die neue Frontfrau wird fast bemitleidet. Ein Landesvorstand: „Ihr stehen jetzt dreieinhalb Jahre permanenter Wahlkampf bevor.“