„Ein kleines politisches Wunder“

Sieg für „Mehr Demokratie“: Bürgerschaft nimmt neues Wahlrecht an. Bevor es aber je zum Einsatz kommt, wollen SPD und CDU es wieder ändern. Sie fürchten „Weimarer Verhältnisse“ in Fischtown

von Armin Simon

Zweimal stimmten sie ab, zweimal stimmten die Bürgerschaftsabgeordneten mit großer Mehrheit und parteiübergreifend für das neue Wahlrecht. Dann sprach Bürgerschaftspräsident Christian Weber (SPD) den entscheidenden Satz: Der Gesetzesvorschlag von Mehr Demokratie e.V. sei „unverändert angenommen“, gemäß der Landesverfassung also „findet der Volksentscheid darüber nicht statt“.

Teile von SPD und CDU dürften es als erlösend empfunden haben. Von einem „kleinen politischen Wunder“ sprach Matthias Güldner (Grüne). „Das ist das erste aufgrund eines Volksbegehrens zustande gekommene Gesetz“, merkte Weber nach der Abstimmung an. Es klatschte kaum einer.

Für die Große Koalition ist das neue Wahlrecht, das den WählerInnen im Land Bremen ab Mitte März 2008 fünf Stimmen – und damit fünfmal soviel wie bisher – zugesteht, nach wie vor ein ungeliebtes Kind. Noch vor einem Jahr lehnte sie mit ihrer Mehrheit einen fast gleichlautenden Gesetzentwurf von FDP und Grünen ab. Gestern stimmte sie zwar zu – aber nur mit großem Murren. Vor dem „extra großen Wahlzettel“ und der „Gefahr der Unübersichtlichkeit“ warnte CDU-Frau Sybille Winther. Die BürgerInnen hätten für „mehr Demokratie“ unterschrieben, das neue Wahlrecht aber bringe dafür nichts. „Den meisten Wählern fehlt die persönliche Kenntnis, um die politische Qualifikation von Kandidaten beurteilen zu können.“

Die neu geschaffene Möglichkeit, einzelne Kandidaten gezielt zu fördern, werde die „Quotierung“ der Parteilisten „gehörig durcheinanderwirbeln“, prophezeite Hermann Kleen (SPD). Profitieren würden vor allem „Querschießer“, also „Abgeordnete, die sich gegen die Fraktion stellen“, die Parteidisziplin sei in Gefahr. „Schwerer werden es die haben, die unspektakulär das Wahlprogramm umsetzen wollen.“

Keinesfalls akzeptieren werde man allerdings die Abschaffung der Fünf-Prozent-Hürde bei den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung Bremerhaven. Eine „Gefahr der Zersplitterung“ wie zu „Weimarer Zeiten“ witterte Winther, „abwegige Einzelinteressen“ dürften keinen Eingang ins Kommunalparlament der Seestadt finden, wetterte Kleen.

Güldner platze da der Kragen. „Sie haben diese Wahlrechtsreform nie gewollt“, rief er: „Also lehnen Sie sie ab und stellen sich dem Volksentscheid.“ Ein Gesetz „eigentlich innerlich abzulehnen“, aber dennoch dafür zu stimmen, „das wird nicht gut gehen“, warnt er: „Sie haben Angst vor den Wahlen und dem Volksentscheid.“ SPD und CDU quittierten es mit Buhrufen.

Für die – gestern mit beschlossene – Abschaffung der Fünf-Prozent-Hürde bei der Kommunalwahl in Bremerhaven plädierte der Bremerhavener FDP-Abgeordnete Willy Wedler. Die „Verbreiterung des politischen Spektrums“ in der Stadtverordnetenversammlung könne nur von Vorteil sein, Debatten würden dann „auf offener Bühne“ und „mit Argumenten“ ausgetragen werden. Die Seestadt-Abgeordneten von SPD und CDU überzeugte das nicht. Sie stimmten als einzige – und gemäß der Verabredung ihrer Fraktionen erfolglos – gegen die Wahlrechtsnovelle.

Die Grünen stellen heute ein zweites – wortgleiches – Gesetz zur Abstimmung, wonach die Wahlrechtsänderung schon bei der Wahl am 13. Mai 2007 Anwendung finden soll. Das will die Koalition geschlossen ablehnen.