Es geht um einen Kulturwandel

Wenn Unternehmen familienfreundlich sein wollen, müssen sie langfristig mehr bieten als Kinderbetreuung und ein paar Teilzeitmodelle

VON ANJA DILK

Väter, die nachmittags in Richtung Kita verschwinden. Mütter, die mal in der Firma, mal von zu Hause ihren Vollzeitjob stemmen, um auch mal einen Blick ins Kinderzimmer werfen zu können. Mitarbeiter, die die Notfallnummer der Firma wählen, wenn die Tagesmutter krank ist. Das alles ist in deutschen Unternehmen noch lange nicht Alltag. Aber es tut sich etwas.

Vorbei die Zeit, in der Arbeitgeber mit hochgezogenen Brauen sagen konnten: „Familienfreundlichkeit? Interessiert uns nicht.“ Nach Beobachtungen von Gisela Erler, Chefin des pme Familienservice, hat das Thema für die Firmen in den vergangenen fünf Jahren „sehr an Schwung gewonnen“. Als sie Anfang der neunziger Jahre bei den ersten Firmen anklopfte, stieß sie oft auf taube Ohren. Heute ist die Offenheit größer geworden: pme berät bundesweit mehr als 200 Betriebe beim Ausbau von familienfreundlichen Maßnahmen.

Die demografische Entwicklung setzt die Unternehmen ebenso unter Druck wie der gesellschaftliche Klimawandel. Zumindest dort, wo gut qualifizierte Mitarbeiter Mangelware sind, wird es immer wichtiger, auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter Rücksicht zu nehmen. Nach einer Studie des Gallup-Instituts zur Arbeitszufriedenheit 2006 ist die emotionale Bindung von Mitarbeitern an ihre Firmen dramatisch zurückgegangen. Ein Grund dafür ist, dass sich ihre Bedürfnisse zunehmend mit den Anforderungen im Job beißen.

Die junge Elterngeneration hat ein neues Rollenverständnis. Frauen wollen die Kinder nicht mehr allein erziehen: Fast jede Zweite setzt dabei auf Teilzeit. Nach der Studie „Väter zwischen Karriere und Familie“ von 2005 wünschen sich 82 Prozent mehr Zeit für ihre Kinder. Nur noch 25 Prozent setzen auf eine Karriere ohne Wenn und Aber. Heidi Stock, Projektleiterin Chancengleichheit bei Bosch in Stuttgart, überrascht das wenig: „Seit zwei, drei Jahren fragen die jungen Ingenieure von den Hochschulen, was wir für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie tun.“

2001 bekundeten die großen Wirtschaftsverbände erstmals in einer freiwilligen Vereinbarung mit der Bundesregierung, dass sie Familienfreundlichkeit als unternehmerische Aufgabe verstehen. Sicher, das sind nur Worte – und doch wurde damit ein wichtiges Signal gesetzt, das den Stimmungswandel widerspiegelt. Mittlerweile sind Firmen, die sich beim „Audit Beruf und Familie“ auf Familienfreundlichkeit checken und beraten lassen, keine Exoten mehr: Während sich 1999 gerade mal acht anmeldeten waren es 2006 knapp 200.

Die Unternehmen beginnen zu erkennen, dass Familienfreundlichkeit in ihrem Interesse liegt. Und auch die Gewerkschaften haben das Thema entdeckt: Im Oktober hat die Bezirksleitung der IG Metall Frankfurt den Arbeitgebern die Gründung einer gemeinsamen Stiftung vorgeschlagen. Das Ziel: Kitas zu unterstützen, die Kinder vom Krippen- bis zum Hortalter aufnehmen und ihre Öffnungszeiten an die Arbeitszeiten der Betriebe anpassen.

Längst beschränken sich familienfreundliche Maßnahmen nicht mehr auf Halbtagsarbeit und Kinderbetreuung. Bosch etwa bietet mehr als 100 Teilzeitmodelle und Maßnahmen an – nach lokalem Bedarf an allen 60 Standorten. Bei Kraft Foods in Bremen gibt es Teilzeitmodelle speziell für die Chefetagen. Sicher: Viele der Angebote sind vor allem Show. „Die Außendarstellung unterscheidet sich oft fürchterlich von dem, was tatsächlich läuft“, sagt Marcus Schmitz, der Unternehmen beim familienfreundlichen Personalmanagement berät. Der Sozialforscher Peter Döge vom Berliner Institut für Innovations- und Zukunftsforschung (IAIZ) sieht das ähnlich: „Viele Personaler tönen mit ihren familienpolitischen Maßnahmen rum, aber stöhnen über die Kosten.“ Gleichzeitig werde signalisiert: Wenn du nicht 50 Stunden ranklotzt, wird es nichts mit der Beförderung.

Derart doppeldeutige Botschaften verunsichern gerade Väter. Hans-Georg Nelles, Gründer der Website vaeter-und-karriere.de wundert es wenig, dass viele familienpolitische Maßnahmen nicht angenommen werden. Teilzeit etwa machen gerade mal 1,5 Prozent der Väter. Es fehlt an Vorbildern und Unterstützung in den Chefetagen, an Ansprechpartnern für Männer und an Maßnahmen, die zu ihren Bedürfnissen passen. Zudem wird Familienfreundlichkeit nach wie vor oft als Frauenthema abgefrühstückt. Oder als Zuckerstückchen in wirtschaftlich glücklichen Zeiten.

„Die Debatte wurde jahrelang falsch geführt“, so Berater Schmitz. „Familienfreundlichkeit ist keine Frage von Image oder Frauenförderung, sondern betriebswirtschaftlich notwendig: Nur familienfreundliche Unternehmen haben künftig im Wettbewerb um gute, dauerhaft motivierte Mitarbeiter eine Chance. Das haben viele Unternehmen immer noch nicht verstanden.“ Die Betriebe müssten untersuchen: Was kostet die Neubesetzung einer Ingenieursstelle? Wie teuer kommt der Ausfall eines gestressten Mitarbeiters? Wie viele gute Mitarbeiter entgehen mir, weil ich als Arbeitgeber nicht attraktiv bin?

„Die Firmen wissen meist nicht mal, wie sie solche Zahlen erheben sollen“, so Schmitz. „Sie müssen endlich ihr Personalcontrolling ändern. Mit harten Zahlen können sie firmenintern für familienfreundliche Maßnahmen trommeln und langfristige Strategien für ihre Personalplanung entwickeln.“ Welche Bedürfnisse haben meine Mitarbeiter überhaupt? Wie alt sind ihre Kinder? Was kann ich für meine Leute tun? Es nutzt wenig, einen Betriebskindergarten einzurichten, wenn die meisten Angestellten Schulkinder haben.

Wenn Schmitz Personaler fragt: „Wie viele Mitarbeiter nehmen eure schönen Angebote denn wahr?“, dann heißt es oft: „Ist doch egal, wir brauchen die Instrumente nur zur Personalbeschaffung.“ Schmitz: „Das ist tödlich. Denn dann verlieren sie die guten Mitarbeiter früher oder später doch. Und sind wieder in der Kostenfalle.“ Das „Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik“ (FFP) der Uni Münster will daher untersuchen: Wie wirksam sind die Maßnahmen? Und: Wie lässt sich das in Geld ausdrücken?

Bleibt zu hoffen, dass dies dem Thema auch in den Chefetagen Nachdruck verleiht. Denn klar ist: Wenn Familienfreundlichkeit nicht von oben durchgedrückt wird, hat sie kaum eine Chance. Dazu gehört auch, den Führungskräften Ängste zu nehmen: vor Machtverlust, vor dem Scheitern von neuen Arbeitszeitmodellen, vor Mitarbeitern, die anderes im Kopf haben, als den Job allein. Einige Firmen machen mit Coaching und Führungskräfteschulungen bereits einen Anfang.

Aber: Wenn Unternehmen familienfreundlich sein wollen, müssen sie langfristig mehr bieten als Kinderbetreuung und ein paar Teilzeitmodelle. Es geht um einen Kulturwandel. Darum, den Arbeitsalltag und die Balance mit dem Familienleben grundsätzlich neu zu organisieren. „Rigides Abarbeiten ist ebenso am Ende wie permanentes 60-Stunden Multitasking“, sagt Familienservice-Chefin Gisela Erler. „Wir müssen Alternativen finden.“