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: Selbstermächtigung durch Solotanz

Die komischen und tragischen Körper der Nerds: „Napoleon Dynamite“, das Regiedebüt von Jared Hess

Napoleon Dynamite (Jon Heder) fliegen die Herzen der Zuschauer nicht ohne weiteres zu. Auf seinem Kopf kräuselt sich eine bizarre Dauerwelle, er trägt scheußliche T-Shirts, er presst, wenn er spricht, die Worte ohne Melodie und wie von allem nur angewidert heraus, er geht und rennt krumm und ist, summa summarum, der Inbegriff eines Nerds. Der Ort der Handlung ist ein Kaff irgendwo in Idaho, die Zeit ist, wenn auch mitunter auf Retro getrimmt, die Gegenwart. Hier geht Napoleon zur Highschool, und auf der lernt er Pedro (Efren Ramirez) kennen, einen aus Mexiko gerade angekommenen Geistesverwandten mit einem sehr coolen Fahrrad. Napoleons Bruder Kip (Aaron Ruell), schmächtig, mit entstellender Brille, die nicht weniger nerdige Deb (Tina Majorino) und der mit Tupperware-Imitationen hausierende Onkel Rico (Jon Gries) machen die sich gegenseitig auch nicht immer herzlich zugetane Außenseiterbande komplett.

„Napoleon Dynamite“, das Debüt des Regisseures Jared Hess, der mit seiner Frau Jerusha Hess auch das Drehbuch schrieb, ist ein in weiten Teilen autobiografischer Film. Man muss den Audiokommentar gar nicht hören, um das zu sehen. Schnell nämlich wird klar, dass all den Figuren, die der Film zunächst als Karikaturen ihrer selbst zu denunzieren scheint, in Wahrheit seine ganze Liebe gilt. Nur macht ihn diese Liebe nicht blind. Ein Liger (eine Kreuzung aus Löwe und Tiger) und Einhörner zeichnender, halb autistisch auf den Ball an der Schnur einschlagender, sozial schwer gestörter junger Mann hat nicht nur an der Highschool einen schweren Stand. Auch der Betrachter widersetzt sich der schieren Identifikation mit diesem Helden für einige Zeit.

Dann aber beginnt alles auf ein multiples – und gewiss eher märchenhaftes als realistisches – Happy End zuzulaufen, und man spürt, dass man es all den vom Leben in der Provinz verunstalteten Figuren von Herzen gönnt. Napoleon tanzt und Pedro wird Schulpräsident. Mit einer Darstellung ungeahnter Körpereleganz schließt, im sich sacht zurückziehenden Zoom, der Film: Napoleon trifft den Ball an der Schnur, und Deb ist mit von der Partie.

Die Körpereleganz ist kein Zufall, denn was der Film seinen Figuren an Innenleben und sprachlichem Ausdrucksvermögen verwehrt, bringt er – und bringen die famosen Schauspieler in ihren sehr genau choreografierten Körperbewegungen – zur Darstellung. Aller Wortwitz ist und bleibt „Napoleon Dynamite“ denkbar fremd. Die Komik des Films – und er ist oftmals rasend komisch – ist zu großen Teilen Körper- und Bewegungskomik. Oder auch: Körpertragik oder Körpertragikomik, denn vom euphorisierenden Flug zum ernüchternden Absturz ist es stets nur ein kleiner Schritt.

Der Abgrund, der die Außenseiter von den Erfolgsmodellen des amerikanischen Highschool-Lebens trennt, ist somit immer auch ein Abgrund des Körperkontrollvermögens. Die Footballstars und die Cheerleader-Mädchen sind im Vollbesitz jener körperlichen Selbstbeherrschung, die, auf die Zukunft eines Arbeits- und Liebeslebens bezogen, gesellschafts- und partnertauglich macht. Die Körper der Nerds bleiben untrainiert und stur und ungelenk. Ihre Sehnsucht gilt nicht der Formation zum Mannschaftssport, sondern der Selbstermächtigung durch Martial Arts oder Solotanz. Und noch das Happy End der Liebesgeschichte Napoleons platziert, dem perfekten Timing zum Trotz, die Liebenden als Solitäre um den Ball an der Schnur, von der Stange getrennt.

„Napoleon Dynamite“ ist in den USA längst Kult. Es ist, mit seiner bis in kleinste Details präzisen Bearbeitung amerikanischer Adoleszenz-Traumata, ein in anderen Kulturkreisen vielleicht nicht durchweg assimilierbarer Film. Dennoch oder gerade deshalb bietet er als kulturelle Lernung von Amerika den glorreichsten Benefiz an komischer und zuletzt, ganz im Ernst, auch beglückender Rührung zu Tränen. EKKEHARD KNÖRER

Die DVD ist für rund 14 Euro im Handel erhältlich