Misstrauen am Freudentag

Der Deutsche Olympische Sportbund zahlt den Opfern des DDR-Doping-Systems eine Entschädigung. Kaum ist die Vereinbarung unterzeichnet, ist schon von unerwünschten Trittbrettfahrern die Rede

AUS BERLIN ANDREAS RÜTTENAUER

„Das ist ein Freudentag!“ Michael Vesper, der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), schritt gut gelaunt zur Unterzeichnung der Vereinbarung zwischen seinem Verband und 167 Opfern des DDR-Doping-Systems. Ein jahrelanger Rechtsstreit endete gestern Vormittag in einem Vergleich. 9.250 Euro Schmerzensgeld erhalten die geschädigten Sportler und verzichten im Gegenzug auf weitere Forderungen gegen den DOSB. Bis Ende Februar soll der Betrag ausgezahlt werden. Die Vereinbarung war auch deshalb zustande gekommen, weil das Bundesinnenministerium mit 1,07 Millionen Euro den Löwenanteil der Summe von insgesamt 1,54 Millionen Euro übernimmt.

Auch die Opferanwälte zeigten sich gut gelaunt. „Mit dieser Vereinbarung“, so Sven Leistikow, einer der Anwälte, „zur Kompensation erlittenen Leids wird ein Schlussstrich gezogen.“ Genau das aber hoffen die Opfer nicht. Einige von ihnen waren zur Vertragsunterzeichnung im Bundespresseamt erschienen. Birgit Boese, eine ehemalige Kugelstoßerin, die schon lange an vorderster Front für die Entschädigung von Dopingopfern kämpft, brachte ihre Genugtuung darüber zum Ausdruck, dass der vereinigte Sport endlich die Verantwortung auch für die negativen Seiten des DDR-Sports übernommen habe. Sie ließ aber keinen Zweifel daran aufkommen, dass der Kampf um Entschädigungen noch nicht zu Ende ist. Auch dem Pharmaunternehmen Jenapharm gegenüber, dem Rechtsnachfolger des DDR-Unternehmens „VEB Jenapharm“, dessen Produkte in der DDR zur Leistungsmanipulation eingesetzt wurden, machen sie Ansprüche geltend. Das Unternehmen hat gestern angekündigt, ebenso wie der DOSB einen Vergleich mit den Dopingopfern anzustreben. Auf die Frage, ob die Sportler auch im Ausland klagen, in den USA etwa, wo Schadesersatzurteile in ganz anderen Dimensionen als in Deutschland möglich sind, wollte Boese nicht antworten.

Lange hat es gedauert, bis die Doping-Geschädigten überhaupt als eigenständige Opfergruppe der DDR-Diktatur anerkannt wurden. Unzählige Gutachten haben sie einreichen müssen, um auf die Liste der 167 Sportler zu gelangen, auf der die Empfänger der Entschädigungszahlungen aufgeführt sind. Sie alle hätten ihre gesamte Krankheitsgeschichte vor den Gerichten ausbreiten müssen, wäre es nicht zu der Einigung gekommen. Wer nun Schmerzensgeldzahlungen erhält, darf aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht genannt werden.

Doch schon werden Zweifel an der Korrektheit der Liste geäußert. Ines Geipel, als ehemalige Sprinterin selbst anerkannte Doping-Geschädigte, sprach von „Trittbrettfahrern“, die es noch rechtzeitig zu ermitteln gelte, bevor die Beträge ausgezahlt würden. Birgit Boese musste sich fragen lassen, ob ihr Mann denn auch entschädigt werde, ob sie sagen könne, welche Sportart in welchem Verein er betrieben habe. Plötzlich herrschte eine merkwürdige Stimmung in Saal eins des Bundespresseamtes. Von einem Freudentag konnte keine Rede mehr sein.

„Ich bin es leid“, sagte eine Frau mit kurzen grauen Haaren, die zur Vertragsunterzeichnung erschienen war. Die ehemalige Volleyballerin, die wegen Depressionen behandelt wird und 13 chirurgische Eingriffe an Schulter bzw. Knie hinter sich hat, will nicht, dass ihr Name „schon wieder in der Zeitung landet“. „Ich habe es auch heute wieder gespürt, dieses Misstrauen“, sagte sie. Mit ihren Attesten und den Dokumenten, die sie über ihre Karriere gesammelt hat, könne sie ganze Wände tapezieren, meinte sie, und dennoch müsse sie sich immer wieder rechtfertigen. Sie will sich weiter am Kampf um Entschädigung beteiligen – und an der Aufklärung über die Geschichte des DDR-Dopings.

Das hat auch Michael Vesper angekündigt. Die Erkenntnisse, die im langwierigen Entschädigungsprozess gewonnen worden seien, müsse man nun für die Doping-Prävention nutzen. Auch Ines Geipel forderte das. Ob die Auseinandersetzung eines Sportverbandes, der bis zum heutigen Tag mit Vertretern des DDR-Sports zusammenarbeitet, ehrlich sein kann, wird abzuwarten sein. Leicht wird sie in keinem Fall. Als durchsickerte, dass der DOSB Verantwortung für das DDR-Doping übernimmt, seien etliche Protestmails von Trainern und Betreuern, die im DDR-Sport tätig waren, eingegangen, so DOSB-Sprecher Michael Schirp.

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