Schulen ringen mit der Gewalt

Die Zahl der Straftaten an Schulen hat sich im letzten Jahr fast verdoppelt. Laut Bildungssenator Zöllner werden lediglich mehr Taten gemeldet. Schulleiter: Auch die Gewaltbereitschaft nimmt zu

Von Alke Wierth

Die Zahl von Gewalttaten und anderen Delikten an Schulen ist stark gestiegen. Sie hat sich von 894 im vorletzten Schuljahr auf 1.573 erhöht. Das geht aus der gestern von Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) vorgestellten Statistik über „Gewaltsignale an Berliner Schulen“ hervor.

Besonders zugenommen haben danach die Delikte Bedrohung (319 gegenüber 159 im Vorjahr) und Körperverletzung (724 gegenüber 368). Stark angestiegen ist auch die Zahl der an Grundschulen registrierten Fälle: von 247 im Vorjahr auf 628 im Schuljahr 2005/06.

Bereits in den vergangenen Jahren war die Zahl der von den Schulen an die Bildungsverwaltung gemeldeten Delikte stetig gestiegen – seit 2001 hat sie sich mehr als versechsfacht. Die Begründungen dafür ändern sich dagegen kaum: Wachsende Sensibilisierung der Schulen für Gewalt- und anderen Delikten sei der Grund, so die Analyse der Bildungsverwaltung. Mit anderen Worten: Nicht die Zahl der Gewalttaten hat zugenommen, die Fälle werden nur eher gemeldet.

Auch der neue Bildungssenator verwies auf ein „vermehrtes Bewusstsein an Schulen, Vorfälle zu melden“. Gleichzeitig lobte Zöllner den bundesweit „einmaligen und vorbildlichen“ Umgang Berlins mit dem Thema Gewalt an Schulen. Auch die Präventions- und Interventionsarbeit sei beispielhaft. Dies führe ebenfalls zu verstärkten Meldungen, bestätigte die für den Bezirk Mitte zuständige Schulpsychologin Aida Lorenz: „Je mehr die Schulen sehen, dass konkrete Hilfe folgt, desto mehr sind sie bereit, Meldungen zu machen.“

„Es ist beides“, lautet die Einschätzung von Erhard Laube, Vorsitzendem der Vereinigung Berliner Schulleiter (VBS). Tatsächlich gebe es mehr Sensibilität, aber auch die Gewaltbereitschaft habe zugenommen. „Das ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen“, so Laube. Doch ausreichend sei die Unterstützung, die Schulen mit Gewaltproblemen angeboten wird, noch lange nicht. Vor allem Schulpsychologen fehlten. Insgesamt 15 davon hat Berlin. Eigentlich brauchte aber jede Schule in sozialen Brennpunkten einen eigenen, so Laube, der Leiter einer Grundschule in Schöneberg ist. „Man muss sich ja nicht nur mit dem Schüler auseinandersetzen, sondern auch mit dem Elternhaus.“ Dort liege häufig die Ursache für Gewaltbereitschaft.

Mit 83 Meldungen im Jahr liegt Tempelhof-Schöneberg fast am Ende der Statistik, nur noch unterboten von Spandau mit 61. Spitzenreiter ist der Bezirk Mitte, wo 300 Vorfälle an Schulen gemeldet wurden. Auf Platz zwei liegt Lichtenberg mit 201 Fällen, gefolgt von Friedrichshain-Kreuzberg mit 176. Neukölln folgt mit 160 Meldungen. Erfasst werden neben Gewalttaten wie Körperverletzungen oder Auseinandersetzungen mit Waffen auch Vorkommnisse wie Beleidigungen, Sachbeschädigung oder Erpressung. Erstmals wurden in die aktuelle Statistik zudem sexuelle Übergriffe und Mobbing aufgenommen. In gut 84 Prozent der Fälle sind die Täter männlich. Immerhin ein Drittel der Opfer sind Mädchen, beziehungsweise Frauen: Die Zahl der Fälle, in den LehrerInnen zum Opfer wurden, stieg von 196 auf 374 im vergangenen Schuljahr.

Dass die neuen Zahlen weitere Maßnahmen erforderlich machten, darauf wollte Schulsenator Zöllner sich gestern nicht festlegen. Er sehe die Notwendigkeit „vieler zusätzlicher Aktivitäten im Schulbereich“, so seine eher ergebnisoffene Ankündigung.