Hilfe wird selektiv

Weltkatastrophenbericht: Spendenbereitschaft nimmt zu, aber Aufmerksamkeit für Krisen wird immer ungleicher

BERLIN dpa/taz ■ Die großen Naturkatastrophen der vergangenen Monate haben eine einmalige weltweite Spendenbereitschaft hervorgebracht. Das zeigt der Jahresbericht der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften, der gestern in 186 Ländern vorgestellt wurde. Nie zuvor wurde so viel Geld für die Opfer von Katastrophen gespendet, wie im vergangenen Jahr. Mehr als 17 Milliarden Dollar (13 Milliarden Euro) Hilfsgelder gaben Einzelpersonen und Regierungen weltweit. Mit fünf Milliarden Dollar stammte mehr als ein Viertel des Spendenaufkommens von Privatpersonen und ging an die Opfer des Tsunamis von 2004.

Doch nicht alle Krisen erweichten die Spenderherzen in diesem Ausmaß. Während die internationalen Tsunami-Hilfsappelle fast fünfmal so viel Geld wie erbeten hereinholten, gingen aufgrund der UN-Appelle für Kongo-Brazzaville 2005 lediglich 42 Prozent der geforderten Summe ein, für die Zentralafrikanische Republik 39 Prozent und für Dschibuti 37 Prozent. Während auf einen Tsunami-Überlebenden im Durchschnitt eine Spende von knapp 1.000 Euro kam, wurden für die Opfer der Krisen in Somalia oder an der Elfenbeinküste weniger als 20 Euro pro Kopf gespendet.

Als Gründe dafür nennt der Jahresbericht des Roten Kreuzes zum einen politische Motive der betreffenden Regierungen. Zu wenige oder gar keine Hilfsgelder fließen häufig aber auch, weil westliche Medien dort nicht präsent sind oder sich nicht für die jeweilige Region interessieren. Die Schwere einer Naturkatastrophe bemisst sich für Medienschaffende nicht allein an der Opferzahl, wie das Beispiel der beiden Wirbelstürme „Katrina“ und „Stan“ im vergangenen Jahr zeigt. Beide Katastrophen kosteten jeweils etwa 1.300 Menschen das Leben. Über „Katrina“ im Süden der USA berichteten westliche Medien jedoch 40-mal mehr als über „Stan“ in Mittelamerika. Die Konflikte im Kongo oder in Tschetschenien gehören zu denen, über die regelmäßig viel zu wenig berichtet wird, so der Katastrophenbericht.

Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, die den Bericht gestern in Berlin gemeinsam mit DRK-Präsident Rudolf Seiters und Rotkreuz-Botschafterin Maybritt Illner vorstellte, sprach von einer Mahnung: „Wir dürfen nicht zulassen, dass es ‚vergessene‘ Konflikte gibt oder Katastrophen, an die sich die Menschheit gewöhnt hat.“ Rudolf Seiters sagte: „Jetzt müssen wir sicherstellen, dass die Hilfe dahin geht, wo sie am meisten benötigt wird, und dass sie nicht verzerrt wird durch politische, sicherheits- oder medientechnische Gründe.“

Maybritt Ilner kritisierte eine Kategorisierung von Katastrophen „erster und zweiter Klasse“ und forderte ein besseres Verständnis von Krisen. „Viele Katastrophen werfen im wahrsten Sinne des Wortes ihre Schatten voraus“, so Illner mit Verweis auf die Hungersnot in Malawi. Dort habe man mit Nahrungsmittelhilfen zwar kurzfristig Not gelindert. Nachhaltiger wären jedoch Produktionshilfen für die Landwirtschaft gewesen.

Die meisten Notgebiete, die nicht beachtet werden, liegen in Afrika. Das Rote Kreuz macht aber auch auf das Schicksal weiblicher Überlebender des Erdbebens in Pakistan aufmerksam und auf die jährlich tausenden afrikanischen Bootsflüchtlinge, die sich auf den unsicheren Weg nach Europa machen. KEL