Inuits künftig ohne Eis

Der Klimawandel und der Rohstoffhunger der Industrieländer setzen der nördlichen Polarregion zu. Traditionelle Lebensweisen sind in Gefahr

Die kleinen Völker rund um den Nordpol geraten zunehmend unter Druck. Der Klimawandel und der Rohstoffhunger der Industrieländer gefährden ihre traditionelle Lebensweise. Mehr noch: Sie entziehen den Ureinwohnern die Lebensgrundlage. Darauf hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) mit ihrem neuen Menschenrechtsbericht hingewiesen, der gestern in Hamburg vorgestellt wurde.

Der Klimawandel zeichnet sich in der Arktis besonders deutlich ab: „Vor ein paar Jahren hat es zu Weihnachten geregnet“, sagte die grönländische Inuit Qivioq Kristine Kern Kreuzmann. Das Wetter sei in den vergangenen Jahren wärmer und instabiler geworden. Für ein Volk, das von der Jagd und vom Fischfang lebt, könne das fatal sein: Schlitten brächen im dünnen Eis ein. Fischer würden von Wetterumschwüngen überrascht.

„Jedes Jahr gehen kleine Boote verloren“, sagt Kern Kreuzmann. „Für die Menschen wird die Jagd plötzlich zu einem unkalkulierbaren Risiko“, bestätigt der Abenteurer Arved Fuchs. Immer häufiger müsse die US-Küstenwache etwa zu Rettungseinsätzen vor der Küste Alaskas ausrücken.

Der Klimawandel, der sich in der Arktis doppelt so schnell vollzieht wie im globalen Durchschnitt, lässt die Region zunehmend für Dritte interessant werden. Mitten in der Nordwestpassage werde ein Tiefwasserhafen geplant, berichtete Fuchs. Die Passage bietet der Schifffahrt eine Abkürzung des Weges zwischen Atlantik und Pazifik: Bisher war dieser Weg fast immer vereist. Er ist besonders für Schiffe attraktiv, die zu groß für den Panama-Kanal sind. Mit den Schiffen werden Müll und Ölverschmutzungen kommen.

Angesichts steigender Energiepreise wird es immer interessanter, die vielen Öl- und Gaslagerstätten der Region zu erschließen. Die Gesellschaft für bedrohte Völker befürchtet, dass Kanada den Teersand in der Provinz Alberta als Zukunftsgeschäft entdecken könnte. Der Tagebau auf einer Fläche von 140.000 Quadratkilometern habe bereits begonnen, obwohl die Landrechte der örtlichen Lubicon-Cree-Indianer ungeklärt seien.

Auch Deutschland profitiert von der Ausbeutung der Arktis. 40 Prozent seiner Erdgasimporte stammen aus Russland. 60 Prozent der russischen Erdgasvorkommen Russlands lagern laut GfbV unter der sibirischen Jamal-Halbinsel. Acht Pipelines sollen gebaut werden, um das Gas abzutransportieren. Die Leitungen würden die Rentier-Weiden der halbnomadischen Jamal-Nenzen zerschneiden. Weitere Probleme drohen in Sibirien durch den Goldabbau in Jakutien und durch das Abholzen der nördlichen Urwälder.

Die GfbV fordert für die Arktis ein Umweltprotokoll nach dem Vorbild des Antarktis-Vertrages. Die internationalen Energiekonzerne müssten sich beim Ausbeuten der Rohstoffe an die Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsstandards ihrer Stammländer halten. GERNOT KNÖDLER