Die dunkle Seite des Präsidenten

Wer wissen will, warum die Zyprioten so zerstritten sind, dass sie lieber die ganze EU in die Bredouille bringen, als sich zu vereinen, der sollte Heinz A. Richters Standardwerk über die politische Geschichte Zyperns lesen

Die Beobachter sind schon lange ratlos. Vor zwei Jahren lehnte die Mehrheit der Zyperngriechen überraschend deutlich den Plan zu einer Wiedervereinigung mit dem türkischen Norden der Insel ab. Nun akzeptiert die griechisch geprägte Republik Zypern nur unter Vorbehalt einen Kompromiss mit der Türkei über weitere EU-Verhandlungen. Warum sind diese Griechen bloß derartig national gesinnt?

Einige Antworten auf diese Frage liefert die moderne Geschichte Zyperns. Das subjektive Gefühl, nur Objekt fremder Interessen zu sein und die Geschicke des eigenen Landes nicht selbst in die Hand nehmen zu dürfen, ist bei den Insel-Griechen nichts Neues. Doch: Wie begründet ist dieser Eindruck?

Heinz A. Richter ist es zu verdanken, dass die moderne Geschichte Zyperns für den deutschen Leser nicht länger im Dunkeln liegt. In bisher zwei vorliegenden Bänden hat der Griechenland-Spezialist die Wirren der zypriotischen Politik bis in die Details ausgebreitet: Von der britischen Okkupation im Jahre 1878 bis 1949 reicht der erste Band. Das zweite Buch umfasst die ereignisreiche und spannende Zeit des antikolonialen Befreiungskampfs durch eine stockkonservative Guerillatruppe bis zur Unabhängigkeit der Insel 1960.

Und da finden sich so manche Antworten auf das politische Verhalten heutiger Akteure. Tassos Papadopoulos etwa, der heutige Staatspräsident, zählte als junger Rechtsanwalt zu den Leitern der illegalen Gruppe PEKA, einer Unterorganisation der Guerillagruppe EOKA, die die Aufgabe hatte, den Partisanenkampf ideologisch zu begleiten. Diese Befreiungskrieger kämpften ab 1955 nicht nur gegen die britischen Kolonialherren, sondern zugleich für eine politische Vereinigung Zyperns mit Griechenland (Enosis).

Mit diesem kompromisslos dargebotenen Ansinnen brachten sie die Zyperntürken auf, die ihrerseits eine Teilung Zyperns ins Gespräch brachten. Auch auf der zyperntürkischen Seite engagierte sich ein junger, national gesinnter Rechtsanwalt weit vorne: Es war Rauf Denktasch, bis vor kurzem noch Staatspräsident Nordzyperns, der als „Mr. No“ alle diplomatischen Initiativen zur Lösung des Konflikts zu Fall brachte.

Ein Teil von Papadopoulos’ Aufgaben im Widerstand war die Indoktrination der Jugend für die hehren nationalen Ziele. Und bei diesem Job vertrat er die Meinung, die linke Partei AKEL verrate die Kampf der Guerilla EOKA. Die EOKA wiederum tötete nicht nur britische Soldaten und Zivilisten. Die meisten Opfer waren angebliche griechische Verräter. Bestialisch ermordet wurden damals auch 23 Parteimitglieder der linken AKEL.

Heute regiert Papadopoulos in einer bizarren Koalition mit dieser Partei. Eine Untersuchung der Mordaktionen lehnt er ab. Und in einem Akt der Unterwürfigkeit bestehen auch die Kommunisten derzeit nicht auf Aufklärung.

Ist der Papadopoulos von heute ein anderer als der, der in den 50er-Jahren des vorigen Jahrhunderts gegen Briten, Türken und Linke agitierte? Eine Antwort wäre reine Spekulation. Doch Parallelen, das zeigen Richters Recherchen, fallen auf. War es doch Papadopoulos, der 1959 den Kompromiss einer Unabhängigkeit Zyperns bis zuletzt ablehnte. Damals konnte sich seine Position nicht durchsetzen. Was der politisch zurückhaltend urteilende Richter nicht schreibt: Derselbe Mann brachte 45 Jahre später mithilfe einer rührseligen Fernsehansprache den nächsten Kompromiss, einen UN-Plan zur Wiedervereinigung Zyperns, zu Fall, weil dieser angeblich zu türkenfeindlich sei.

Autor Richter hat für seine Zypern-Geschichte in immenser Arbeit neue, bisher unbeachtete Quellen herangezogen und damit neue Gesichtspunkte eingeführt. Wenn es überhaupt etwas an dieser detailversessenen Arbeit zu kritisieren gibt, dann ist es der geringe Anteil zyperntürkischer Quellen, die Richter zu Rate zieht. Das ändert nichts daran, dass er ein Standardwerk geschaffen hat, das nicht nur Zypern-Interessierten wärmstens zu empfehlen ist. Man darf auf den dritten Band gespannt sein. KLAUS HILLENBRAND

Heinz A. Richter: „Geschichte der Insel Zypern“. Peleus-Verlag, Mannheim und Möhnesee 2004/2006; Band I, 498 Seiten, 42,50 Euro; Band II, 665 Seiten, 49 Euro