Warum Kevin sterben musste

Erster Tag im Untersuchungsausschuss „Kindswohl“: Die Familienhebamme von Kevin hatte schon vor der Geburt den Eindruck gewonnen, dass die Mutter überfordert sein würde von ihrer Aufgabe

Von Klaus Wolschner

Der Untersuchungsausschuss „Kindeswohl“ hat seine Arbeit gestern aufgenommen, 24 Zeugen sollen in dieser Woche insgesamt vernommen werden. Es geht darum, aufzuklären, ob der Tod des zweieinhalbjährigen Kevin, der am 10. Oktober tot im Eisschrank bei seinem Stiefvater aufgefunden worden war, Folgen für das System der Jugendhilfe in Bremen haben muss. Immerhin stand das Kind, seitdem seine Mutter tot war, unter der Amtsvormundschaft des Staates.

Der erste Arbeitstag des Untersuchungsausschusses hat dafür schon reichlich Hinweise geliefert. Zum Beispiel hat der Vormund „sein“ Kind gerade ein Mal gesehen in mehr als einem halben Jahr, in dem er verantwortlich war, und das in einer Konferenz. Die Arbeit der Vormundschaft sei zu einer Verwaltungsarbeit geworden, berichtete Staatsrat Ulrich Mäurer, der im Auftrage der zurückgetretenen Senatorin Karin Röpke die Akten zu dem Fall untersucht hatte. Er war der erste Zeuge im Untersuchungsausschuss. Ein Vormund müsse sich, wenn er hunderte von Akten zu führen habe, voll auf den Sozialarbeiter – den Case-Manager – verlassen.

Der aber war offenbar nicht nur überfordert von seiner Arbeit, sondern hat auch in Berichten an die Leitung des Amtes für soziale Dienste Sachverhalte verfälschend dargestellt. So wurde der Sozialsenatorin und letztlich dem Bürgermeister nach ihrer Intervention im Januar 2006 berichtet, alles sei gut, Kevin sei inzwischen bei einer Tagesmutter in Betreuung – eine von verschiedenen Situationen, in denen der Case-Manager seine Wünsche mit vollzogenen Tatsachen durcheinander brachte.

Nach den Berichten des Klinikums Bremen-Nord, in dem Kevin zur Welt kam, hätte das Kind seinen drogenabhängigen Eltern nur mit einem klaren Hilfeplan überlassen werden dürfen – wenn überhaupt. Warum hat der Sozialarbeiter entschieden, das Kind könne zu den Eltern? Die Mutter komme da kaum vor, keine Abwägung der Risiken sei erkennbar, überhaupt sei das eher eine „Lose-Blatt-Sammlung“ als eine Akte, formulierte Mäurer. Obwohl für alle Beteiligten klar gewesen sei, dass Kevins Eltern auf jeden Fall Hilfe benötigten, sei nach Aktenlage über Monate nichts passiert – „als wenn Kevin vom Bildschirm der Behörde verschwunden wäre“, formuliert Mäurer. Aktenkundig wurde Kevin erst wieder, als die Polizei die volltrunkene Mutter abends um 22 Uhr mit dem 7 Monate alten Säugling aufgriff – und das Sozialamt informierte. Diese Phase der Untätigkeit, so Mäurer, begründete für die Staatsanwaltschaft den Verdacht unterlassener Hilfeleistung und es sei für ihn ein „Wunder“, dass Kevin diese ersten Monate überlebt hat.

Aus der frühen Zeit berichtete auch die Familienhebamme, die gestern als Zeugin aussagte. Für sie war recht klar, dass die Mutter von Kevin völlig überfordert war mit ihrer Aufgabe. So habe die Mutter sich geweigert, eine vom Krankenhaus angeratene Medizin zu nehmen, die das Kind vor Folgen ihrer Hepatitisinfektion schützen sollte. Insgesamt sei „keine mütterliche Sorge“ erkennbar gewesen in der Vorbereitungsphase der Geburt. „Wenn ich gehe, geht das Kind auch“, habe die Mutter in Bezug auf ihre Krankheiten einmal gesagt. Die Drogenhelferin habe die Haltung der Mutter, ihre Interessen über die des Kindes zu stellen, unterstützt. In einem Bericht über Konflikte zwischen Gesundheitsamt und Amt für soziale Dienste hat die Familienhebamme Monate später den Fall Kevin ausführlich beschrieben.