Nun klotzt die Podkanzlerin

Angela Merkel will die Informationstechnologie (IT) stärker fördern. Deshalb veranstaltete die Bundeskanzlerin gestern einen nationalen IT-Gipfel – ohne die jungen Kreativen. Hat das Zukunft?

VON CHRISTIAN FÜLLER

Da soll mal einer sagen, es hätte sich nichts getan.

Im Jahr 2000, als die New-economy-Euphorie noch unbefleckt war, machte der Kanzler IT zur Chefsache. Gerhard Schröder trompetete einen Zuschuss für die Informatik-Studiengänge hinaus, die ihm federleichte 50 Millionen D-Mark (!) wert war. Er polterte damit auf die Cebit in Hannover, nannte es allen Ernstes eine Offensive und verkündete obendrein eine Greencard für Computer-Inder. In den zuständigen Ministerien schlug man die Hände über dem Kopf zusammen – aber die Medien fanden das cool. Schröder, wie man ihn kannte.

Und heute? Heute, Pardon, schon vergangene Woche sandte die Kanzlerin eine Podcast-Botschaft aus – das ist Angela Merkel auf einer Videosequenz, die man jetzt auch auf iPods ansehen kann. Inhalt: Wir Deutschen seien irgendwie wahnsinnig erfindungsreich – hätten „aber heute an diesen Entwicklungen leider nur noch einen geringen Anteil“. Merkel: „Das reicht uns nicht!“ Also veranstaltet sie einen IT-Gipfel. Die halbe Bundesregierung ist anwesend, auch die (Groß-)Industrie. Zum Event, der gestern im elitären Hasso-Plattner-Institut in Potsdam stattfand, bringt Merkel 1,2 Milliarden Euro mit. Sprücheklopfen ist nicht mehr. Es wird geklotzt.

Jedenfalls auf den ersten Blick. Wie viel von der 48-fachen Schröder-IT-Dosis tatsächlich frisches Geld ist, kann niemand sagen. Die Kanzlerin hat von ihrer Forschungsministerin Annette Schavan (CDU) schon so manche Hightech-Milliarde doppelt versprechen lassen; meist Mittel, die aus entlegeneren Winkeln des Bundeshaushalts zusammenaddiert werden. Aber egal, bombastisch sind die Pläne allemal, welche die Kanzlerin zusammen mit der digitalen Wirtschaft ausheckte.

Zum Beispiel soll einem europäischen Konkurrenten zum US-amerikanischen Suchmaschinenmarktführer Google auf die Beine geholfen werden. Das gefällt den Kritikern der allumfassenden US-Hegemonie selbstverständlich. Aber geht so Förderung von IT-Innovationen? Sind die digitalen Heroen nicht die Garagenbastler, die 25-jährigen Informatikstudenten, die halb aus Langeweile Musik oder Videos im Internet empfang- und tauschbar machen? Und sich dann ihre Idee für fettes Geld abkaufen lassen?

Schon stellen die ersten Kritiker das Think Big der Kanzlerin und die „konzeptionelle Ausrichtung des IT-Gipfels“ in Frage. Es gehe, so steht es in einem offenen Brief, sehr wohl darum, „die wirtschaftlichen Möglichkeiten der neuen Technologien“ und die „Marktanteile deutscher Unternehmen“ zu erschließen. Aber eben nicht nur! Wichtig sei es, sich Gedanken über Mikroförderung zu machen, sprich, wie man die Millionen in die kreativen Garagen kriegt. Und, nicht zu vergessen, „die gesellschaftspolitischen und sozialen Folgen“ der Informationsgesellschaft zu bedenken, vulgo: Datenschutz, Teilhabe aller etc.

Unterzeichnet haben den blauen Brief an Angela Merkel 409 Menschen und Gruppen der Zivilgesellschaft, meist solche aus der Online-Szene. Was sie verbittert: „Lediglich ein Vertreter des Verbraucherschutzverbandes war eingeladen, der die Belange der Zivilgesellschaft mit abdecken soll.“

Ein großes Thema gestern war die merkwürdige Distanz der Studierwilligen zu den IT-Studiengängen. Seit dem Jahr 2000 sinkt die Nachfrage nach diesen und anderen Technologiestudien. Das mag verständlich sein nach dem Kollaps der new economy und den hie und da erhobenen Studiengebührchen. Die Studienzurückhaltung ist aber zugleich kurzsichtig. Inzwischen ist die Branche der Informations- und Kommunikationstechnologie mit 800.000 Jobs der größte Arbeitgeber im Land. Und die Arbeitsplätze des Jahres 2010 und der folgenden Jahre werden mit Sicherheit nicht durch weniger, sondern durch mehr IT geprägt sein.

Die Antwort des Gipfels ist zwiespältig. Das Institut des SAP-Gründers und Gastgebers, Hasso Plattner, kündigte seinen Studiengang „Design Thinking“ an – und ließ dabei alle Stichworte fallen, die zählen: kleine Gruppen von Master-Studenten, multidisziplinäre Teams, die kreativ und nutzerorientiert denken, Kontakt zum Plattner Institute of Design an der Stanford University in Silcon Valley.

Forschungsministerin Schavan betrieb indes Studienplatzmarketing mit dem Zeigefinger. „Junge Leute müssen die Angebote auch nutzen wollen“, ermahnte sie geradezu zum Studieren. Wie das wirkt, kann jeder im Kanzlerinnen-Podcast betrachten. Da doziert Merkel in einem IT-Hörsaal – der leer ist.

Soll mal einer sagen, es hätte sich was getan.