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: Die Kunst zu geben

Letzte Fragen: Wie kann man der weihnachtlichen Rüstungsspirale aus Schenken und Beschenktwerden entgehen?

So kurz vor Weihnachten muss natürlich vom Schenken die Rede sein. Vermutlich haben Sie heute schon gestöhnt, was Sie in den nächsten Tagen noch alles besorgen müssen. Dabei haben Sie wahrscheinlich bereits ziemlich viele Geschenke eingekauft. Zugleich haben Sie mutmaßlich aber auch verkündet, in diesem Jahr alles etwas „runterzufahren“, nur noch Kleinigkeiten oder sogar nichts mehr zu schenken – und vor allem selbst nichts geschenkt bekommen zu wollen. Alle Jahre wieder. Diese widersprüchlichen Verhaltens- und Äußerungsweisen deuten schon an, welch unterschiedliche, auch gegenläufige Interessen, Wünsche und Bedeutungen sich mit dem Schenken verbinden.

Der französische Philosoph Georges Bataille stellte in den 1940er Jahren kühl fest, dass ein „Geschenk unsinnig wäre (…), wenn es nicht die Bedeutung eines Erwerbs hätte“. Und weiter: „Schenken wird also heißen, eine Macht erwerben.“ Wer sich im Schenken verausgabt, tut das somit nicht nur aus Liebe, sondern auch in der – oft uneingestandenen – Hoffnung, sich den Beschenkten zu verpflichten. Insofern ist gerade Weihnachten ein Fest, bei dem die bestehende Sozialordnung bestätigt oder auch neu gefügt wird: Man festigt die Bande zu Familienangehörigen und Freunden und signalisiert erstmals Beschenkten, dass man gern engeren Kontakt zu ihnen hätte.

Bekanntlich nutzen erst recht Firmen und Händler die Chance, durch Geschenke noch mehr Kundenbindung zu betreiben. Manchmal genügt sogar schon ein unerwarteter oder origineller Weihnachtsgruß: Der damit Bedachte erfährt eine Gunst, die er nie erwidern kann, da seinem Gegengruß gerade das Überraschende, ja der Anschein einer spontanen Geste fehlt. So fühlt er sich dauerhaft in der Schuld des anderen – und wird eher dazu neigen, ihm immer wieder etwas abzukaufen.

Offenbaren Geschenke hier bereits eine okkupatorische Dimension, so wird diese erst recht manifest, wenn sie zu groß ausfallen. Dann kann sich der Beschenkte geradezu bedroht und unter Druck gesetzt fühlen: Er spürt das Interesse des anderen, ihn von sich abhängig zu machen. Vielleicht verfehlt ein solches Geschenk dann aber auch seinen Zweck, weil der Beschenkte aus Angst vor Fremdbestimmung auf Distanz geht.

Fällt ein Geschenk hingegen nur leicht überdimensioniert aus, wirkt es am effektivsten: Der Schenkende darf sich dann ziemlich sicher sein, den anderen in eine Verlegenheit gebracht und auch etwas eingeschüchtert zu haben. So kann er damit rechnen, dass der Beschenkte sich mit einem mindestens ebenso großen Geschenk revanchieren, ihm gegenüber aber zugleich dauerhaft Dankbarkeit empfinden wird. Hier droht also eine Variante von Potlatsch – ein Ritual, bei dem man den anderen durch großzügige Gaben unterwerfen will und durch noch großzügigere Gaben sich selbst wieder freizukaufen versucht.

Es ist die Dynamik einer solchen Rüstungsspirale des Schenkens, die viele Menschen dazu bringt, sich eine Reduzierung oder gar einen Ausstieg aus dem weihnachtlichen Konsumismus zu wünschen, die es ihnen aber zugleich unmöglich macht, dem Geben und Gegengeben wirklich zu entsagen. Tatsächlich steigert es die Macht – den Verblüffungs- und damit Einschüchterungseffekt – eines Geschenks sogar noch, wenn der Schenkende zuvor proklamiert hat, sich diesmal mäßigen zu wollen.

Besonders aggressiv sind auch sinnlose Geschenke. Sie signalisieren dem Beschenkten, dass es nicht darum ging, etwas passgenau für ihn auszusuchen und ihn so als Individuum ernst zu nehmen; vielmehr wollte der Schenkende vor allem seine Kaufkraft – Potenz – unter Beweis stellen und mit dem Schenken von etwas Unnützem umso deutlicher darauf aufmerksam machen, dass er es sich leisten kann, nicht so genau auf den Gebrauchswert zu achten. Schenken wird hier, ähnlich wie bei übertriebenen Gaben, gleichbedeutend mit Verschwenden.

Dabei ist es kein Zufall, dass ausgerechnet ein in seinem Ursprung religiöses Fest wie Weihnachten zum Fest des Konsums, zum Potlatsch der Wohlstandsgesellschaft geworden ist. Nachdem jeder wieder einmal die Bedrängnis des Schenkens und Beschenktwerdens gespürt hat, ja nachdem man sich im turbulenten und massiven Kreislauf der Gaben als ohnmächtig erfahren hat, darf man sich im guten alten Argwohn bestätigt fühlen, dass das Materielle – Geld und Güter – nicht nur nicht glücklich macht, sondern sogar Belastung bedeutet. Im exzessiven Konsum stärkt eine Wohlstandsgesellschaft ihre Ressentiments gegenüber eben diesem – und hält sich selbst ihre Strafpredigt.

Erst infolge des Unbehagens, gar aus Panik angesichts all dessen, was wieder unter dem Weihnachtsbaum liegt, preist der heutige Mensch das Spirituelle und Transzendente als die „eigentlichen“ Werte. Nur wer gesündigt hat, kann auch geläutert werden.

WOLFGANG ULLRICH