Generation Selbstgebastel

Rob Young erzählt die Geschichte von Rough Trade, dem wichtigsten Indie-Plattenlabel

Die Ahnengalerie sieht nur, wer den Kopf hebt. Hoch über den klappernden CD-Ständern, den überquellenden Plattenschränken und wuchernden Gig-Ankündigungen ist der Rough Trade Laden in Londons Talbot Road 130 mit Musikgeschichte tapeziert. Singlecover von Bands wie den Raincoats und TV-Personalities, Carbaret Voltaire und Pop Group kleben dort. Artefakte des langen britischen Post-Punk-Frühlings ’78 bis ’82, der aufregendsten Zeit der britischen Popgeschichte. Denn es war Rough Trade, die sie wenn nicht ins Leben gerufen, dann doch geprägt hat, wie niemand sonst.

Kein Musiklexikon versäumt, Punk eine Revolution zu nennen. Dabei waren die Sex Pistols vor dreißig Jahren lediglich der Rammbock. Sie brachen Türen auf, die zuvor von Kategorien wie Virtuosität und Aufnahmequalität verriegelt waren. Die Möglichkeiten aber, die dahinter lagen, erkundete erst die nächste, die Post-Punk-Generation – die Rough-Trade-Generation. Ihr hat Rob Young, Redakteur bei The Wire dem britischen Fachorgan für abenteuerliche Musik, nun mit einer Label-Biografie ein lange fälliges Denkmal gesetzt.

Rough Trade war die spontane Idee des Cambridge-Absolventen Geoff Travis. Nach Beendigung seines Studiums Mitte der 70er brachen Travis und seine Freundin zu einem längeren USA-Trip auf. Ein paar Monate später kam Geoff – ohne Freundin, aber mit 600 LPs – zurück nach London. Was er denn mit den ganzen Platten machen wollte, fragte ihn jemand. Damit könne er doch einen Plattenladen eröffnen. Er wurde 1976 schnell zu einem Kristallisationspunkt.

Travis hörte und verkaufte Reggae und Dub. Doch er hörte auch die Energie und Vitalität in den ersten Punkplatten. Und plötzlich kamen Menschen zu Rough Trade, die ganz verschiedene Musikstile schätzten, denn der Laden verkaufte sehr verschiedene Musik. Schon ein Jahr nach der Eröffnung kamen nicht nur Plattenkäufer, sondern auch -verkäufer. Beide waren nicht selten die gleiche Person. Als die ersten privat veröffentlichten Platten auf den egalisierten Post-Punk-Markt kamen, waren die für Experimente offenen Ohren von Geoff Travis unter den ersten, die sie zu hören bekamen. Und Travis mochte vieles: mochte Metal Urbain, die Synth-Punks aus Paris, mochte die Desperate Bicycles mit ihrem aggressiven „Go and do it!“-Ansatz, mochte Mark Perry mit seinem Schnipsel-Fanzine Sniffin’ Glue. Der Laden wurde erst zum Umschlagplatz, dann zum Vertrieb, zur Booking Agentur und schließlich auch zum Label.

Mit vielen O-Tönen und in klarem Englisch beschreibt Rob Young, wie sich Rough Trade in wenigen Jahren vom chaotischen, basisdemokratischen Plattenladen in ein sehr viel größeres, nicht minder chaotisches aber bald weniger basisdemokratisches Indie-Imperium wandelte. Manchmal, scheint das Beispiel Beispiel Rough Trade zu sagen, wird markt- und betriebswirtschaftliches Grundwissen (suche dir eine wachsende Nische und mache dich darin unentbehrlich!) auch unabsichtlich umgesetzt. Travis wollte lediglich, dass all die großartigen Bands wie The Fall, Scritti Politti, The Pop Group, Young Marble Giants, die nach Punk kamen, aber keine Punks waren, auch gehört wurden. Bald darauf war Rough Trade der Dreh- und Angelpunkt dieser Musik.

Young setzt verschiedene Grenzsteine in der Chronologie des Labels. Einer ist die Spaltung von Vertrieb, Laden und Label 1979. Ein wichtigerer ist, 1983 einer Band mit dem albernen Namen The Smiths einen langfristigen Plattenvertrag zu geben. Mit The Smiths wurde Rough Trade erwachsen, verdiente richtiges Geld, war gezwungen, professioneller zu werden. Wurden sie in vielem auch. Nur nicht in der Buchhaltung. Wenn ein Unternehmen mit 22 Millionen Pfund Jahresumsatz nicht weiß, wann eine Steuernachzahlung ansteht, dann geht es Pleite. So wie es Rough Trade 1991 passierte.

Hätte Rob Young mit seinem Buch Geld verdienen wollen, dann hätte er über das neue Rough Trade geschrieben. Jenes Label, das 2001 die erste Strokes-Single veröffentlichte und auch sonst angesagte Bands und Musiker wie die Libertines, Adam Green oder Belle & Sebastian. Doch dieser erfolgreichen Wiederauferstehung widmet er nur wenige Seiten. Weit mehr beschäftigt sich das üppig bebilderte Buch mit dem ersten Jahrzehnt, bis zum Ende der Smith 1987. Zehn Jahre in denen das kleine Indie-Label Rough Trade die große Stilschublade Independent zimmerte. GEORG KESSLER

Rob Young: „Rough Trade“, Black Dog Publishing, 186 Seiten, 19,95 Pfund