Auf der Brandspur der Reiter

„Araber“, die einst als Hirten lebten, vertreiben „Afrikaner“, sesshafte Bauern. In Darfur sind in diesem Konflikt hunderttausende Menschen gestorben

AUS KOUKOU PETER BÖHM

Die Stille ist unheimlich. Kein Mensch, kein Tier wandert durch die Savanne. Niemand ist auf der Suche nach Wasser, niemand arbeitet auf den Feldern. Die Ähren wogen sanft im Dezemberwind, aber niemand erntet. Jetzt, nach der Regenzeit, ist die Hirse überreif, die Halme von der heißen Sonne fast versengt – aber wo sind die Bauern?

Ein paar Kilometer weiter zieht sich entlang der Straße ein Pfad der Zerstörung. Alle Felder sind hier niedergebrannt. Erst kurz vor dem Marktflecken Koukou, nach mehr als 40 Kilometern, zeigt sich wieder Leben. Aasgeier kreisen am Himmel, die hungrigeren hacken sich in die Eingeweide eines erschossenen Pferdes. Am Horizont streben dichte Rauchsäulen gen Himmel.

So sieht es aus auf der Straße von Goz Beida nach Koukou, den zwei Kleinstädten im Osten des Tschads, zwei Stunden Autofahrt entfernt von der Grenze des Sudans. Seit Freitag ist diese abgelegene Region Schauplatz eines ungleichen Kampfes, in dem sich die Gegner nach ihrer ethnischen Zugehörigkeit scheiden. Die Angreifer sind „Reiter“, so die neutrale Sprachregelung der Hilfsorganisationen. Oder Araber, Janjaweed, also feindliche Milizen aus dem Sudan – sagt Tschads Armee.

Die ethnischen Vertreibungen aus Darfur haben nun Tschad erreicht. Die Muster ähneln sich: „Araber“, Halbnomaden, die ursprünglich als Hirten lebten, vertreiben „Afrikaner“, die ihr Auskommen als sesshafte Bauern finden. In Darfur hat dieser Konflikt über zwei Millionen Menschen zu Flüchtlingen gemacht, hunderttausende sind gestorben, und Sudans Regierung unterstützt die „arabischen“ Janjaweed-Reitermilizen. Im Osten des Tschads kämpfen sie gegen die Regierungsarmee, bis jetzt haben schon mehr als 90.000 Menschen ihre Dörfer verlassen und sind in die städtischen Zentren geflohen. Dort treffen sie auf die 200.000 Flüchtlinge, die Darfur verlassen mussten und gehofft hatten, im Tschad sicher zu sein.

Die Übergriffe vom letzten Wochenende stellen eine neue Qualität der Gewalt dar. Erstmals werden die um Koukou herum verteilten Lager der Flüchtlinge und Vertriebenen angegriffen. Und erstmals taucht die tschadische Armee am Ort des Geschehens auf.

Koukou ist ein Ort mit sandigen Wegen und ein paar festen Häusern: Polizei- und Krankenstation, der Sitz des Flüchtlingshilfswerkes UNHCR, allesamt flache Schuppen. Seit den Vertreibungen aus Darfur ist die Einwohnerzahl von Koukou von ein paar hundert auf über 10.000 angewachsen. An jedem denkbaren Ort sind Zelte und improvisierte Unterstände entstanden. Gleich am Ortseingang befindet sich ein großes Lager, wo sich die Vertriebenen Hütten aus Schilf gebaut haben. Ein halbes Dutzend davon wurde am Samstag niedergebrannt. Und nur zehn Kilometer weiter Richtung Osten liegt das Lager Goz Amer, dort hausen fast 20.000 Flüchtlinge aus dem Sudan.

Im Schatten eines großen Baums im Zentrum von Koukou hat die tschadische Armee ihr Hauptquartier eingerichtet. Auf Planen und Decken haben sich dort der Minister für territoriale Sicherheit, der Gouverneur, der Präfekt und der Verwaltungschef des Landkreises niedergelassen. Sie alle sind Militärs. Es ist Mittagszeit, sie haben sich in einem Kreis um eine große Platte Hammelfleisch versammelt.

Die Armee hat Verstärkung aus Abéché kommen lassen, der größten Stadt im Osten des Tschads. Laut Militärangaben waren es 500 Araber auf Pferden und Kamelen, die Koukou von zwei Seiten angegriffen haben. Zwölf Zivilisten und acht tschadische Soldaten wurden getötet, viele verletzt. Die Angreifer hatten automatische Gewehre und Panzerfäuste und wurden von Männern in sudanesischen Armeeuniformen unterstützt, sagen die tschadischen Soldaten.

In Aradip, direkt neben dem Flüchtlingslager Goz Amer, schwelen noch die Reste der verbrannten Hütten. Wie steinerne Zeugen aus einer anderen, friedlicheren Zeit sind von den meisten Gehöften nur noch die hohen bauchigen Tonkrüge übrig, in denen die Dorfbewohner ihre Getreidevorräte aufbewahren. Zwei alte Frauen kauern laut klagend vor ihrer schwelenden Ruine. Sie weinen. Andere fischen in der Asche mit bloßen Händen nach Harken und Messern, die das Feuer überstanden haben könnten. Dazwischen streifen junge Männer umher, Pfeil und Bogen über der Schulter, selbstgeschmiedete Schwerter und archaisch anmutende Wurfhölzer in den Händen. Sie gehören zu einer hastig nach den Angriffen aufgestellten Selbstverteidigungsmiliz. Die restlichen Bewohner haben sich zum Flüchtlingslager Goz Amer aufgemacht.

In Sichtweite, wieder ein paar Kilometer weiter östlich, sind die aufsteigenden Rauchsäulen noch weiß und dicht. „Dieses Dorf wird gerade angegriffen“, sagt der Anführer der Miliz, Mohamed Abdurasset. Der 27-Jährige ist der Sohn des Dorfchefs. Warum greift die Armee nicht ein, statt in Koukou im Schatten Hammelfleisch zu essen? „Wenn die Armee dorthin fährt“, sagt Abdurasset, als verstehe sich das von selbst, „wären wir hier ohne Schutz.“

Der Milizenchef ist barfuß, er trägt eine schmutzige Hose und einen verwaschenen Umhang voller Löcher. Der Staub und die Asche haben sein Haar grau gefärbt. Abdurasset weiß sehr genau, wer sein Dorf angegriffen hat. Die meisten von ihnen kamen aus dem Nachbardorf. Das liegt nur 200 Meter entfernt und sieht genauso aus wie alle anderen in der Region. Die Hütten sind kreisrund, aus Lehm gebaut, mit Schilf gedeckt. Es ist nicht verbrannt, sondern intakt und gespenstisch leer. Fast wirkt es wie eine Filmkulisse, sauber gefegt und aufgeräumt.

Am Abend des ersten Angriffes, am Freitag, berichtet Abdurasset, hätten die Araber Frauen, Kinder und ihre gesamte Habe von dort weggebracht. Am Samstagmorgen dann hätten sie Aradip, sein Dorf, angegriffen und niedergebrannt. Davor, sagt er mit gedämpfter Stimme, hätten beide Gruppen lange Zeit in Harmonie gelebt: „Es gab sogar einige gemischte Familien, die gemeinsam Kinder hatten.“ Die anderen von der Dorfmiliz, die sich im Halbkreis um ihn niedergelassen haben, nicken.

Konflikte zwischen Viehzüchtern und sesshaften Bauern in der Sahelzone um das karge Land und das knappe Wasser gibt es seit Menschengedenken. Aber genauso lange gibt es auch das friedliche Zusammenleben. Alle „Araber“ und alle „Afrikaner“ im Osttschad sind Muslime, sie sprechen auch denselben arabischen Dialekt. Plötzlich aber entsteht hier die Frontlinie eines Krieges, von dem internationale Diplomaten fürchten, dass er die gesamte Region ins Chaos stürzen könnte. Warum?

Vor ein paar Wochen, sagt Abdurasset, hätten die Araber zum ersten Mal die Leute seines Dorfes daran gehindert, auf ihre Felder zu gehen. „Sie haben gesagt: Ihr Dadjo habt hier nichts zu suchen. Diese Region wird nur den Arabern gehören.“ Und sie haben gedroht, sie zu überfallen. Nun hat die Gewalt in der Region alte Ressentiments wieder aufleben lassen. Araber hassen „die Schwarzen“, meinen viele. Andere gar, sie wollten die Afrikaner „versklaven“ – so wie in Darfur.

Der Verwaltungschef des Landkreises, Bourdami Abdurahman, vermutet hinter allem gar einen großen Plan des Sudans. Nachdem der Minister die unangenehme Aufgabe hinter sich gebracht hat, mit einem Journalisten sprechen zu müssen, und er von seiner Mittagsruhe zurückgekommen ist, referiert er eine Theorie, die in etwas abgemilderter Form auch schon der tschadische Präsident Idriss Deby der Öffentlichkeit präsentiert hat: „Die sudanesische Regierung hat eine Koalition von 21 tschadischen ethnischen Gruppen geschmiedet. Wer sich ihnen nicht anschließt, soll vertrieben werden.“ Aus dem Tschad solle ein fundamentalistisch islamisches Land werden, sagt Abdurahman – oder der Osten soll abgetrennt und dann vom Sudan annektiert werden.

Stimmt das? Es ist tatsächlich kaum zu erklären, wie die Araber hier ohne Bewaffnung und Unterstützung von außen plötzlich so schlagkräftig werden konnten. Aber die offizielle tschadische Version muss noch einen anderen Zweck erfüllen, der nichts mit den ethnischen Vertreibungen zu tun. Seit Monaten werden im Osten des Tschads Rebellen stärker, die Präsident Déby stürzen wollen. Im April haben sie fast die Hauptstadt N’Djamena erobert. Seit Ende November konnten die Rebellen jeweils für ein paar Stunden mehrere Ortschaften um die größte osttschadische Stadt Abéché einnehmen. Aus allen Städten gibt es Berichte, die Bevölkerung habe ihnen beim Einmarsch zugejubelt. Zugleich ist die zivile Verwaltung im Osten des Tschads nahezu zusammengebrochen. Beamte und Polizisten sind entweder geflohen oder sie wurden in die Armee eingezogen.

Vorerst hat die Regierung die Oberhand behalten. Aber die Gefahr ist nicht gebannt. Nun wird versucht, zwischen dem Erstarken der Rebellen und dem Ausbreiten ethnischer Vertreibungen im Osttschad eine Verbindung herzustellen – nämlich, dass an beidem der Sudan schuld sei. Aber außer dass sowohl bei den Rebellenangriffen als auch bei den ethnischen Vertreibungen der Sudan die Rolle des Unterstützers übernimmt, haben beide Entwicklungen nichts miteinander zu tun.

Tschads Regierung ist nicht besonders geschickt darin, ihre Version zu belegen. Wer die mysteriösen Kämpfer in sudanesischen Uniformen sind, von denen viele Augenzeugen berichten, kann Verwaltungschef Abdurahman nicht sagen. Und Beweise für eine sudanesische Einmischung kann er nicht vorlegen. „Nagelneue automatische Gewehre“ hätten die tschadischen Truppen ihren Gegnern abgenommen, sagt Abdurahman – aber vorweisen kann er sie nicht. Gefangene, die Identitätspapiere bei sich tragen könnten, hat die Armee keine gemacht. Und ihre Verletzten haben, wie Augenzeugen berichten, die Araber mitgenommen. In der Nacht kamen sie sogar, um ihre Toten zu holen. Die Angreifer sind unsichtbar. Nur die Spuren ihrer Verwüstung bleiben.