verpasst?
: Mantel des Schweigens

„ARD-Jahresrückblick 2006“, Montag, 21.00 Uhr, ARD

Vielleicht sollte man den Mantel des Schweigens darüber hüllen, über den Mantel von Gerhard Delling. Wäre ja auch arg geschmäcklerisch, einen „ARD-Jahresrückblick“ nach der Stilsicherheit eines seiner beiden Moderatoren zu beurteilen. Und doch verriet gerade dieser Mantel eine Menge über das Format dieser Sendung – angefangen damit, dass das formlose Stück Schurwolle ein paar Nummern zu groß für die schmalen Schultern des Fernsehjournalisten war. Gerhard Delling jedenfalls sah darin reichlich verloren aus – als habe er gerade seinen Zug verpasst.

Was wiederum auf das Leitmotiv der öffentlich-rechtlichen Rückschau verweist: Die ARD sendete direkt aus dem neuen Berliner Hauptbahnhof. Und Delling, immer noch im Mantel, ließ sich von Bahnchef Mehdorn, auch im Mantel, durch die zugigen Hallen führen. Deutsche Politiker verdienen zu wenig, die Bahn verdiene hingegen gut, aber immer noch nicht gut genug, ungefähr das war es, was der oberste Zugbegleiter zu erzählen hatte.

Dann doch lieber Herbert Grönemeyer zuhören, den die Bildregie direkt vor einer halb geöffneten ICE-Tür platziert hatte: „Es passte alles, das Wetter, die Bevölkerung.“ Gemeint waren natürlich die Fußballweltmeisterschaft, der Sonnenschein und der „unverkrampfte Patriotismus“ einer „jungen Generation“. Grönemeyer, so wusste es der andere, mantellose Moderator Tom Buhrow, lebt übrigens „hauptsächlich im Ausland“. Und wir dachten bis gerade eben noch, er würde hauptsächlich in England leben.

Auch „hauptsächlich im Ausland“ lebt ein junger Kameruner aus Rothenburg an der Wümme. Nur konnte dieser zu jener Sendung tatsächlich einen nachhaltigen Satz beisteuern: „Während der Weltmeisterschaft waren die Leute irgendwie netter zu uns.“ War alles tatsächlich nur ein Sommermärchen? Bilder von Nazidemonstrationen verstärkten diesen Eindruck. Vor allem aber weckten sie den Verdacht, als redaktionelles Feigenblatt in einer ansonsten wenig journalistischen Sendung herhalten zu müssen – abgesehen vielleicht von einem Beitrag über eine Hallenser Trabantensiedlung.

Zum Abschluss gab es dann noch Merkel und Mozart. Die eine lud Buhrow und Delling zur nichts sagenden, weil nichts fragenden Audienz ins Kanzleramt. Der andere wäre im fast vergangenen Jahr 250 Jahre alt geworden. Auch dass wollte die ARD ganz offensichtlich nicht vergessen. CLEMENS NIEDENTHAL