Architekt der Beschleunigung

Fast jeder kennt seine Bauten, kaum einer seinen Namen: Das Technikmuseum erinnert an Alfred Grenander

Die Begeisterung der Berliner für ihre U-Bahn ist eine fühlbare Größe. Wenn das Wetter schlecht wird, steigen die Fahrgastzahlen. Man schätzt ihre Funktionalität und grummelt bei Baustellen und Pendelverkehr. Sich über die U-Bahn und ihre Architekturen als technischer Meisterleistungen der Moderne zu freuen, kommt kaum jemand in den Sinn.

Ein Grund, warum Alfred Grenander, der Architekt von über 70 U-Bahnhöfen zwischen Ruhleben und Friedrichsfelde, Krumme Lanke und Pankow, bis dato fast unbekannt geblieben ist, liegt mit Sicherheit in der emotionalen Distanz der Berliner zu ihrem Verkehrsmittel. Selbst dort, wo die Architekturen der Grenander’schen U-Bahnhöfe und Trassen so markant ins Auge fallen wie am Wittenberg- oder Nollendorfplatz, am Hochbahnhof Eberswalder Straße, bei den Viadukten durch Kreuzberg oder entlang der Schönhauser Allee, wird das riesige Oeuvre in Berlin nicht mit seinem Namen identifiziert.

Man hat den Architekten, der auch das weiße „U“ auf Blau entworfen hat, nicht einmal ignoriert. Er und sein Werk sind schlichtweg fast anonym geblieben. Eine kleine Ausstellung im Deutschen Technikmuseum – „Berlin über und unter der Erde. Das Werk von Alfred Grenander“ – wirkt, zumindest in Ansätzen, diesem Vergessen entgegen.

Alfred Grenander kam 1885 zum Studium der Architektur aus Stockholm nach Berlin-Charlottenburg. Nach Bürostationen bei Alfred Messel, der für sein Kaufhaus Wertheim am Leipziger Platz bekannt ist, und bei Paul Wallot, der den Reichstag baute, machte sich Grenander 1889 selbstständig. Er war zuerst ein klassischer Villenarchitekt und Designer, das zeigen die ersten Stationen der Schau.

Grenander entwarf bis in den Anfang des 20. Jahrhunderts hinein Stühle, Tische und Sofas voller Bequemlichkeit und Eleganz, noch unberührt vom aufkommenden Geist der Reformbewegungen. Das Design etwa seines schön geschwungenen „Sofas für die Dame“ (1904) war ganz dem Jugendstil verpflichtet.

Seine Villen – Haus Pichler (1892) oder Haus Spalting (1894) etwa – sind imposante Architekturcollagen, voller Zitate des „englischen Landhausstils“ viktorianischer Prägung und des Neoklassizismus.

1897 war Grenander zum Professor an der Berliner Kunstgewerbeschule ernannt worden. Eine eigene Handschrift als Architekt entwickelte er mit den großen Auftragsarbeiten für die Industrie und die Berliner Hochbahngesellschaft ab 1900. Den Verkehrsbetrieben legte er einen ganzen Katalog verkehrstechnischer Bauten vor, der die Bahnhöfe als gestalterische Einheit und Symbol für den urbanen Massentransport dachte: mit Serviceinrichtungen, Kiosken, U-Bahn-Zügen, technischen Konstruktionen und Ornamentik.

Zwar blieb er bei den frühen Planungen für die Bahnhöfe noch jeweils dem Zeitgeist treu und baute sowohl florale, dem Jugendstil nahe, als auch farblich-expressive Architekturhüllen. Zu sachlichen und großstädtischenStationen entwickelten sich seine Entwürfe dagegen zu Beginn der 1920er Jahre. Erst recht modern fielen seine Ingenieurskünste, sein Fliesenstil in den Dekorationen sowie seine Raumprogramme aus. Für den U-Bahnhof Wittenbergplatz (1913) entwarf er die erste Trennung von Bahnsteig- und Schalterhalle. Die U-Bahnhöfe Friedrichstraße und Hermannplatz (1923 und 1926) gestaltete Grenander mit bunten glasierten Kacheln zu fließenden, unterirdischen Farbräumen. Der U-Bahnhof Alexanderplatz wurde zu einem mehrgeschossigen Umsteigeknoten. Schließlich – Ende der 1920er Jahre entstanden allein 25 Bahnhöfe – zauberte Grenander wie beim Bahnhof Krumme Lanke (1929) Beleuchtung, Glas und Beton in seine Verkehrsbauten. Sie wurden zu transitorischen Räumen aus Farbe und Licht, die Mobilität und Energie stets auch ästhetisch erleben ließen.

ROLF LAUTENSCHLÄGER

Im Deutschen Technikmuseum,Trebbiner Str. 9, Di.–Fr. 9–17 Uhr, Sa. + So. 10–18 Uhr, bis Ende April 2007