„Die Schwachen sollen teilhaben“

Sozialamtschefin Helga Dorfner erklärt, warum das bayerische Burghausen Weihnachtsgeld an Hartz-IV-Empfänger zahlt – als einzige Kommune Deutschlands. Wer arbeitsfähig ist und keinen 1-Euro-Job annimmt, bleibt allerdings ausgenommen

„Wir haben hohe Steuereinnahmen, die Finanzen der Stadt sind sehr gut“

INTERVIEW WOLF SCHMIDT

taz: Frau Dorfner, ist Burghausen Deutschlands sozialste Stadt?

Helga Dorfner: Weiß ich nicht. Warum?

Sie sind unseres Wissens die einzige Kommune in Deutschland, die ihren Arbeitslosengeld-II-Empfängern Weihnachtsgeld bezahlt. Wie kommt’s?

Auch die sozial schlechter Gestellten sollen am Wohlstand unserer Stadt teilhaben. Wir haben hohe Gewerbesteuereinnahmen durch die Chemieindustrie am Ort, die Finanzen der Stadt sind sehr gut.

Wie viel Weihnachtsgeld zahlen Sie denn in diesem Jahr aus?

Der Haushaltsvorstand bekommt 80 Euro, die Angehörigen jeweils 60 Euro.

Gesetzlich müssten Sie das nicht machen. Laut Bundesagentur für Arbeit ist das Geld für Geschenke schon in den monatlichen Regelleistungen eingeplant, Klagen dagegen haben keinen Erfolg.

Ja, das machen wir rein freiwillig. Das hat der Stadtrat so beschlossen. Wir sind einfach der Meinung, dass die Personen, die wir bedenken, sich über das Jahr hinweg nicht viel Geld für Weihnachtsgeschenke zur Seite legen können.

Jetzt hat das Ganze aber doch einen klitzekleinen Haken. Nur jene Empfänger von Arbeitslosengeld II, die während des Jahrs eine Zeit lang als 1-Euro-Jobber gearbeitet haben, bekommen das Weihnachtsgeld.

Das ist eben unsere Anerkennung für die gemeinnützigen Tätigkeiten, die sie leisten. Ob im Tierheim, dem Bauhof oder dem Umweltamt.

Aber Arbeitslosengeld-II-Bezieher ohne 1-Euro-Job bekommen nichts. Wieso nicht?

Die haben wir außen vor gelassen, weil das dann zu teuer geworden wäre. Das hätte an die 90.000 Euro mehr gekostet.

Ist da auch der Leistungsgedanke im Spiel: Wer arbeitet, bekommt Geld – die anderen nicht?

Das ist sicher auch mit ein Gedanke gewesen. Aber neben den 1-Euro-Jobbern bekommen auch Sozialgeldempfänger Weihnachtsgeld von uns. Das sind Kinder unter 15 Jahren, deren Eltern arbeitslos sind. Und auch alle, die früher in der Sozialhilfe waren – heute nennt sich das Grundsicherung. Das sind meist über 65-Jährige oder auf Dauer Erwerbsgeminderte. Insgesamt bekommen 400 Menschen Weihnachtsbeihilfe.

Mit dem Geld kaufen die Menschen sich jetzt auch wirklich Geschenke?

Wie sie das Geld verwenden, ist den Menschen freigestellt. Viele schaffen sich damit Dinge an, die eigentlich schon lange hätten sein müssen. Ich weiß von einer Familie, die kauft einen Schreibtisch für ihr Kind, andere verwenden das Geld zur Reparatur der Waschmaschine. Das hätten sie sich sonst nicht leisten können. Es gibt aber leider auch welche, die das Geld in Bier umsetzen.

Bei Erwerbsloseninitiativen im Internet werden Sie als Vorbild gefeiert. Freuen Sie sich darüber?

Es freut uns, wenn wir als kleine bayerische Stadt mal Vorreiter sein können. Es gibt auch einige Kommunen, die uns sagen: Sie würden das auch gerne machen, sind dazu aber finanziell nicht in der Lage. Allerdings haben auch Gemeinden mit wenig Geld durchaus die Möglichkeit, sozial Schwache zu unterstützen – etwa durch freien Eintritt ins Theater oder ins Hallenbad. Es muss ja keine Beihilfe sein, die den Empfängern in Euro und Cent ausbezahlt wird.