Kabeljau – das war mal

Für Jobs und Wählerstimmen: EU-Agrarminister verzichten auf Fangverbot und reduzieren stattdessen lediglich die Quoten

VON HANNA GERSMANN

Schön war die Zeit mit dem Kabeljau. Norddeutsche nannten die zartrosa-fleischige Beute aus dem Ozean auch gerne Brotfisch. Kabeljau gab es satt. Das ist Vergangenheit. Die EU-Fischereiminister reduzierten gestern zwar die Fangquoten für den Speisefisch, sie sprachen aber kein Fangverbot aus – gegen den Rat von Wissenschaftlern.

Selten haben Meeresbiologen so eindringlich wie in den vergangenen Monaten davor gewarnt, dass die hochindustrialisierten Flotten die Meere leerfischen. 2048 könnten die Ozeane tot sein, prophezeiten internationale Meeresbiologen erst im November. Der Kabeljau gilt als bestes Beispiel, wie schlecht es dem Fisch geht. Seit 1970 ist der Bestand in der Nordsee zum Beispiel auf ein Zehntel geschrumpft. In der Ostsee, wo er Dorsch genannt wird, sieht es nicht besser aus. Die 1.600 Experten des Internationalen Rats für Meeresforschung drängen darum schon seit fünf Jahren auf einen Fangstopp. Doch immer wieder setzten sich in der EU die Friends of Fishing durch. Das sind Nationen wie Frankreich, Spanien oder Dänemark – auch Friends of Overfishing genannt. In den Ländern sichert die Fischerei Jobs – und Wählerstimmen.

Die Europäischen Fischereiminister treffen sich jedes Jahr kurz vor Weihnachten zum Schlagabtausch – und legen fest, wie viel Meeresgetier die Fischer in den folgenden zwölf Monaten aus dem Meer ziehen dürfen. In der Nacht zu Donnerstag einigten sie sich nach zwei Tagen Verhandlung darauf, die Fangquoten für Kabeljau aus den Fischgründen westlich von Schottland und in der Keltischen See um 20 Pozent zu senken. In den anderen Gebieten sind es 15 Prozent. Außerdem durften die Fischer bislang rund 90 Tage fischen. Nächstes Jahr sind es sieben Tage weniger. Für die ebenfalls überfischten Schollen und Seezungen werden die Fangquoten um 15 und 12,5 Prozent reduziert.

Agrarstaatssekretär Gerd Lindemann erklärte die Fangquoten gestern als „wichtigen Erfolg für die Fischerei“. Kai Arne Schmidt, Geschäftsführer der Erzeugergemeinschaft der Hoch- und Kutterfischer hingegen meinte: „Die Reduktion der Fangtage bedroht die Fischer in ihrer Existenz.“

Europaweit hängen rund 500.000 Arbeitsplätze am Fischfang. In Deutschland sind es vergleichsweise wenig – rund 6.000. Die meisten Beschäftigten arbeiten zudem zu Land. Sie räuchern und verpacken Lachs oder füllen Fischsalat in Dosen.

„Den Fischern geht es nur gut, wenn es dem Fisch gut geht“, sagt Thilo Maack, Meeresexperte bei der Umweltorganisation Greenpeace. Er ist sicher: „Für den Kabeljau sieht es finster aus.“ Schon in wenigen Jahre lohne es sich für Trawler nicht mehr, rauszufahren. Speisefisch ist rar.

Paradox: Die Fischer bringen gar nicht allen Fisch mit an Land, der ihnen ins Netz geht. Manchmal stirbt der Kabeljau, weil er den Fischerbooten in die Quere kommt. Er verheddert sich in den Netzen, wenn die Flotten etwa Seezunge oder Scholle fangen. Oft haben die Fischer ihre Quote aber schon erfüllt und dürfen den Kabeljau nicht mehr verkaufen. Dann „werfen sie ihn wieder über Bord“, sagt Siegfried Ehrich, Leiter des Instituts für Seefischerei. Diese Prozedur überlebt ein Fisch meist nicht. So wird auch mit Ozeanbewohnern umgegangen, „die nicht als Delikatesse gelten“, erklärt Jenny Glaser vom Umweltverband WWF. Fischer reden dann vom unerwünschten Beifang. Die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) schätzt: Für jedes Kilo Fisch, das in der Kühltheke landet, werden 300 Gramm Meeresgetier ins Wasser zurückgeschmissen.

Jeder Deutsche verspeist im Jahr 22 Kilo Fisch. Noch ist ein Großteil davon Kabeljau. Glaser rät zum Boykott der bedrohten Arten im Supermarkt – solange die „europäische Fischereipolitik die entscheidenden Vorgaben nicht macht“. Ihre Anleitung zum Fischkauf: „Auf Rotbarsch und Scholle ganz verzichten.“ Hering, Alaska-Seelachs und europäische Zuchtforellen dürfe hingegen jeder in die Pfanne hauen.