Fütter mein Ego

Altern als Band-Konzept: „Nur was nicht ist ist möglich“ erzählt die Geschichte der Einstürzenden Neubauten

Die Debatte darüber, wann die Einstürzenden Neubauten zu nerven angefangen haben, gibt es so lange wie die Band selbst

Für die Redaktion der Jubiläumsausgabe der Zeitschrift Tempo sind die Einstürzenden Neubauten ganz klar ein erledigter Fall. Aus den „einst legendär lässigen Schrottkünstlern“, so heißt es in einer kurzen Abrechnung, seien „legendär peinliche Schrotttypen geworden, die zwangsoriginell crazy klingen wollen“.

Mit dieser Meinung steht Tempo nicht alleine da. Eigentlich gibt es die Debatte darüber, wann die Einstürzenden Neubauten zu nerven angefangen haben, beinahe so lange wie Band selbst. Mal heißt es, diese hätte bereits nach ihrer ersten Platte „Kollaps“ aus dem Jahr 1982 nichts mehr zu sagen gehabt, weil die Radikalität und Wucht dieses Debüts nie wieder erreicht werden konnte. Richtiggehend Verrat wurde der der Berliner Subkultur entstammenden Band dann vorgeworfen, als sie Mitte der Achtziger einer Einladung Peter Zadeks folgten und ein Engagement für dessen Inszenierung des Theaterstücks „Andi“ am Hamburger Schauspielhaus annahmen. Als Blixa Bargeld später anfing, Schnulzen mit Meret Becker einzusingen, war es für viele endgültig vorbei mit den Neubauten.

Letztlich fallen einem jedoch nicht viele Bands ein, die für ihr Werk so sehr geliebt und später verachtet werden, die trotz aller Widerstände immer weitergemacht und sich permanent gehäutet haben wie die Neubauten. Man kann dieser Band all das vorwerfen, was ihr vorgeworfen wird, und dennoch blickt man voller Staunen auf sie und stellt fest, wie facettenreich das Gesamtkunstwerk Einstürzende Neubauten heute erscheint.

Das in Gesprächsform gehaltene Buch „Nur was nicht ist ist möglich“ zeichnet nun diese „Geschichte der Einstürzenden Neubauten“ in Interviewform nach. Die beiden Herausgeber Max Dax und Robert Defcon haben in unzähligen Gesprächen mit den „Mitgliedern und wichtigsten Wegbereitern der Einstürzenden Neubauten“ versucht, nochmals die ganze Historie der Band direkt und als „oral history“ nachzuvollziehen. Es wird keine der üblichen Abfolgen von Erfolgen und Misserfolgen erzählt – Historie, Banddynamik und die Selbstreflexion der entscheidenden Protagonisten werden miteinander verzahnt.

Dank der Gesprächsform bekommt man einen viel direkteren Zugang nicht nur zu einer Band und zu Popstars, sondern zu Menschen. Diese berichten von ihren ganz normalen Nöten, Selbstzweifeln und immer wieder, und das ist am interessantesten: über das Altern.

Das Altern ist ein heikles Thema in der Popbranche, wo man möglichst jung sein oder zumindest so wirken sollte. Die Offenheit, mit der die Neubauten das Thema Altern verhandeln, macht vor allem deswegen so viel Sinn, da dieses auch in ihrem sich wandelnden Werk, ihrem Lifestyle und ihrem Aussehen eine entscheidende Rolle spielt. Aus einer dekonstruktiven Band, die auf Schrott einprügelte, wurde eben eine Institution, die im Ausland vielleicht bekannteste Band nach Rammstein und Kraftwerk. Statt Punkklamotten trägt man heute eben etwas Maßgeschneidertes, und Blixa Bargeld sieht auch nicht mehr aus wie ein Heroinabhängiger, sondern wie ein Pummelchen. Er schreit auch nicht mehr wie ein abgestochenes Schwein, sondern singt mit einer Gutenachtgeschichtenerzählerstimme. Oder er führt „Solo Vocal Performances“ am Deutschen Theater in Berlin auf, wie man auf der eben erschienenen DVD „Rede/Speech“ sehen kann.

„Was die Neubauten heute sind, das sehe ich nicht mehr als die Neubauten. Das ist in meinen Augen nichts als ein Etikettenschwindel“, befindet der ehemalige Schlagwerker der Band, FM Einheit, über den Verwandlungsprozess der Band. Das, was als „Etikettenschwindel“ bezeichnet wird, hat sich jedoch, so klingt es in „Nur was nicht ist ist möglich“ an, einfach so vollziehen müssen. „So wie die 20- bis 30-jährigen Einstürzenden Neubauten auf der Bühne in den Achtzigern gespielt haben, hätten sie nicht immer weiter spielen können“, sagt Blixa Bargeld. „Sie hätten sich irgendwann voraussehbar den Arm abgehackt, oder aus Versehen wäre jemand im Publikum ernsthaft zu Schaden gekommen.“

Die extrem körperliche Musik, dieses Arbeiten auf der Bühne mit Stahl, Bohrmaschinen und Betonmischern, das machte schon allein die Physis der Bandmitglieder aufgrund des Älterwerdens irgendwann nicht mehr mit, schon alleine deshalb musste man ruhiger werden. „Silence is sexy“ nannten die Neubauten später, beinahe selbstironisch, eine ihrer Platten. Wo man dann letztendlich bei diesem Weg in die Stille, in den „Etikettenschwindel“, inzwischen angekommen ist, das kann man auf der ebenfalls soeben erschienenen DVD „Palast der Republik“ sehen. Beim finalen Konzert in dem inzwischen einstürzendenen Altbau, der dem geplanten Berliner Stadtschloss weichen wird, sieht man gepflegte Anzugträger diszipliniert auf originell wirkenden selbstgebastelten Instrumenten herumklopfen, wofür es sichtbar keiner größeren körperlichen Anstrengung bedarf. Kaputt ging an diesem Abend in dem Abrissgebäude auch nichts. ANDREAS HARTMANN

Max Dax: „Nur was nicht ist ist möglich“. Boswort Edition, 320 S., 24,95 €; Einstürzende Neubauten: „Palast der Republik“, Neubauten.orgBlixa Bargeld: „Rede/Speech“ (Bargeld Entertainment)