Deutschland feilscht beim Klimaschutz

Angela Merkel wollte während der EU-Ratspräsidentschaft eigentlich die Erderwärmung bekämpfen. Trotzdem streitet sich die Bundesregierung weiter mit der EU über Emissionsrechte für die deutsche Industrie. Das geht aus einem Brief an Brüssel hervor

VON NICK REIMER

Bevor Bundeskanzlerin Angela Merkel als Tiger losspringen konnte, ist sie schon zum Bettvorleger geworden: Deutschland kommt beim Klimaschutz nicht den EU-Forderungen nach. Das geht aus einem Brief des zuständigen Bundesumweltministeriums an die EU-Kommission hervor. Brüssel hatte verlangt, dass die deutsche Industrie ihren Ausstoß von Kohlendioxid auf 453 Millionen Tonnen begrenzt.

Dabei hatte Merkel doch den großen Sprung versprochen: Klimaschutz soll ab Anfang Januar „ganz oben auf der Agenda unserer Ratspräsidentschaft stehen“, so die Kanzlerin. In vier Tagen ist Angela Merkel die mächtigste Person Europas. Und ausgerechnet ihr Umweltministerium vermasselt den Start.

Der Streit geht um Tonnen. Und um den Nationalen Allokationsplan NAP II: Dieser Plan legt fest, wie viel Klimagase die deutsche Industrie in die Atmosphäre pusten darf. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) wollte 465 Millionen Tonnen genehmigen. Viel zu viel, hatte die EU-Kommission geurteilt. Kommissionspräsident José Manuel Barroso: „Wir haben unsere Festlegungen auf der Basis objektiver Kriterien getroffen, und zwar für alle Mitgliedstaaten. Danach wird Deutschland seinen Kohlendioxidausstoß auf 453 Millionen Tonnen verringern müssen.“ Bis 31. Dezember hatte die EU Deutschland Zeit gegeben, seinen Plan zu überarbeiten.

„Das haben wir gemacht und Brüssel mitgeteilt und damit unsere Schuldigkeit getan“, bestätigt ein Sprecher von Gabriel. Zahlen allerdings stehen im Brief nicht drin. Man werde das „Mengengerüst neu prüfen“. Der Sprecher räumte ein, dass dies nach „Kuhhandel mit der Kommission“ aussieht.

Dabei hat Angela Merkel einen Hebel: Anfang des Jahrzehnts war die deutsche Industrie eine Selbstverpflichtung eingegangen, nach der sie im Jahr 2010 nur noch 451 Millionen Tonnen Klimagase in die Luft pestet.

Augenscheinlich will das Bundesumweltministerium trotzdem eine deutlich höhere Belastung erlauben. Hinter den Kulissen wird so heftig um Zahlen gerungen, dass man Brüssel erst gar keine mitteilte: Berlin hofft immer noch, dass die EU-Kommission die deutsche Industrie ein bisschen entlastet.

Der Streit um den NAP II offenbart auch Verwerfungen innerhalb des Bundesumweltministeriums. Zuständig für den Plan ist Staatssekretär Matthias Machnig, der allenfalls auf 460 Millionen Tonnen Kohlendioxid runtergehen will.

Kurz vor Weihnachten hatte sich Bundesumweltminister Gabriel mit Machnigs Vorgänger Rainer Baake getroffen. Baake, der heute Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe ist, schlägt beispielsweise eine Versteigerung von Verschmutzungsrechten vor. Bislang erhalten die Konzerne diese umsonst. Ein mit dem NAP II Vertrauter bestätigte der taz, dass im Brief an die EU einige Anregungen von Baakes eingeflossen sind. Offiziell bestätigt das freilich niemand.

Jetzt ist die Kommission am Zug: Sie wird nun Zahlen nennen. Regierungssprecher Thomas Steg umschrieb das mit folgenden Worten: „Die Gespräche mit der EU-Kommission werden in den nächsten Tagen und Wochen sehr zügig fortgesetzt“. Die Bundesregierung habe Interesse an einer gütlichen Lösung.

Naturgemäß nutzt die Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz BUND eine andere Sprache: Angelika Zahrnt forderte von der Bundeskanzlerin, ihre Richtlinienkompetenz auszuüben: „Aber auf Dauer helfen die schönen Reden dem Klima nichts, sondern nur energisches Handeln.“www.bmu.de/eu-ratspraesidentschaft