SPD-CHEF KURT BECK SIEHT DIE „GRENZE DER ZUMUTBARKEIT“ ERREICHT
: Rhetorik der Einfühlsamkeit

SPD-Chef Kurt Beck hat den entwaffnenden Charme der Selbstkritik entdeckt. Die „Grenzen der Belastbarkeit“ für die Bürger seien erreicht, sagte er in einem programmatischen Interview kurz vor Neujahr. Und auf dass die Botschaft auch ja nicht überlesen werde, sprach Beck gleich noch einmal von einer „Grenze der Zumutbarkeit“.

Diese Wortwahl ist erstaunlich offenherzig für den Chef einer Regierungspartei – sie drängt sich aber auch auf: Rund 35 Milliarden Euro werden die Bürger jährlich verlieren, haben die Grünen errechnet, wenn ab Januar die Mehrwertsteuer steigt, die Pendlerpauschale weitgehend gestrichen und der Sparerfreibetrag halbiert wird. Das trifft vor allem die unteren und mittleren Schichten, die einst das klassische SPD-Klientel ausmachten. Ihnen will Kurt Beck signalisieren, dass sie von der SPD schwer belastet, aber nicht vergessen wurden.

Diese Rhetorik der Einfühlsamkeit wurde nicht mehr gehört, seitdem die SPD regiert. Ob Schröder, Müntefering oder Platzeck – als Parteichefs setzten sie alle auf die vermeintliche Logik des Sachzwangs, um Vertrauen zu erzeugen. Beck hingegen bemüht die volkstümliche Kraft eines pfälzischen Dialekts, der auf Nicht-Pfälzer anbiedernd wirkt: „Immer mal langsam mit de Leut!“

Doch selbst Pfälzer dürften nicht so langsam sein, als dass ihnen entgehen würde, dass nicht jeder gleich belastet wird – Vermögende und Konzerne profitieren. Da helfen auch die SPD-Tricks nicht, mit denen die Steuergeschenke an die Firmen kaschiert werden sollen. Stolz behaupten die Sozialdemokraten, dass die Konzerne wieder genauso viel Körperschaftssteuer zahlten wie vor den großen Reformen. Was die SPD-Experten jedoch verschweigen: Seither haben sich die Gewinne verdoppelt; die Konzerne wurden also real um 50 Prozent entlastet. Und ab Januar 2008 verschenkt die Unternehmenssteuerreform weitere 5 Milliarden Euro jährlich an die Firmen. Mindestens.

Es ist unwahrscheinlich, dass volkstümelnde Interviews die SPD-Basis noch beruhigen können. Selbstkritik ist charmant, aber nur wenn sie Folgen hat. Irgendwann wird Beck verkünden müssen, wie er die Zumutungen gerechter verteilen will.

ULRIKE HERRMANN