Lieber lässig rumliegen statt einkaufen

Die Fußball-WM brachte wirtschaftliche Überraschungen. Die verlängerten Ladenöffnungszeiten erwiesen sich als Flop. Denn die Leute guckten lieber Fußball als einzukaufen. Die Zahl der Touristen stieg deutlich an, aber erst nach dem Großereignis

von RICHARD ROTHER

Sie war das Großereignis des Jahres und sie sollte einen kräftigen Konjunkturschwung für die wirtschaftlich gebeutelte Hauptstadt bringen: die Fußball-Weltmeisterschaft der Herren. Doch so groß der Hype im Vorfeld, so ernüchternd in vielen Branchen die Bilanz im Nachhinein – so gab es gerade mal 10.000 neue Jobs durch die WM, und die zumeist auch noch zeitlich befristet. Allenfalls langfristig dürfte es positive Effekte geben. Vor allem im Tourismus, hat doch die WM das Bild Berlins als interessantes und sympathisches Reiseziel in alle Welt transportiert.

Vor allem die Hotels hatten sich einen WM-Boom versprochen – der einfach ausblieb. Touristisch war der Juni der einzige Monat, der in diesem Jahr Rückgänge verzeichnete; am Ende stand bei den Hotelbesuchern ein Minus von 2,3 Prozent im Vergleich zum Juni 2005 zu Buche. Schuld daran waren die Deutschen, die lieber zu Hause vor dem Fernseher oder dem örtlichen, öffentlich aufgestellten Bildschirm feierten, als der Stadt an der Spree einen Besuch abzustatten. Die Zahl der deutschen Berlin-Besucher ging nämlich deutlich – um 16,5 Prozent – zurück, während aus dem Ausland fast ein Drittel mehr Gäste in die Stadt strömten. Folge für die Hoteliers: Die Auslastung der Betten sank im Vergleich zum Juni 2005 um 3,8 Prozentpunkte auf 48,6 Prozent. Ganz anders die Situation bei den Tagesbesuchern, die logischerweise nicht im Hotel nächtigen: Deren Zahl stieg im Juni um 30 Prozent.

Tourismus-Branche jubelt

Die Tourismus-Branche zieht denn auch insgesamt eine positive Bilanz. „Über Deutschland und Berlin ist während der WM international überaus positiv berichtet worden“, sagt Natascha Kompatzki, Sprecherin der Berlin Tourismus Marketing Gesellschaft (BTM). Dies habe schon in den Folgemonaten zu stark steigenden Besucherzahlen geführt. So seien bereits im Juli 11 Prozent mehr Gäste als im Vorjahresmonat gekommen. Ein Trend, der sich bis zum Jahresende fortgesetzt hat. So seien September und Oktober – ohnehin sehr umsatzstark – erneut Rekordmonate gewesen. „2006 ist bislang das erfolgreichste Jahr für den Berlin-Tourismus gewesen.“

Davon will auch der Einzelhandel profitieren, der derzeit einen Jahresendkaufrausch erlebt. Im Juni sah das noch ganz anders aus. Mit großem Tamtam waren die Ladenöffnungszeiten zur WM ausgeweitet worden – aber die Kundschaft blieb aus, weil die das Sportereignis lieber auf den Bildschirmen verfolgte. „Für den Handel war die WM-Bilanz ernüchternd“, sagt der Vize-Chef des Berliner Einzelhandelsverbandes Günter Päts. Zwar seien Souvenirs und Maskottchen sehr gut über die Ladentische gegangen, insgesamt hätten sich die Erwartungen aber nicht erfüllt. „Wir haben das falsch eingeschätzt.“ So haben viele Ladenbesitzer gehofft, die Fans würden zwischen den Spielen in die Geschäfte stürmen – ein Trugschluss. „Das Großereignis WM war für uns Neuland“, so Päts. Langfristig kämen steigende Touristenzahlen aber auch dem Einzelhandel zu Gute.

Gemischt war die Bilanz auch im originären WM-Geschäft, dem öffentlichen Gucken, Feiern und Trinken. Während die Fanmeile im Tiergarten alle Erwartungen übertraf, blieben bei manchen mittelgroßen Veranstaltern Sitze und Bänke leer. Der Fußballdome in Hellersdorf etwa, ein riesiges Bierzelt mit Live-Übertragungen, musste nach wenigen Tagen aufgeben. Die Hellersdorfer pilgerten lieber mit U- und S-Bahn zur Fanmeile, die in allen Medien präsent war, als im Kiez zu bleiben.

Entsprechend positiv die Bilanz der Berliner Nahverkehrsbetriebe. Sie beförderten während der WM rund zwölf Millionen Fahrgäste mehr. Des einen Freud, des anderen Leid: Das Taxigewerbe zählt zu den WM-Verlierern. Nur die schwedischen Fans haben sich laut Taxi-Innung in nennenswerter Zahl in die Berliner Taxis gesetzt, die anderen nutzten lieber Busse und Bahnen. Und bei dem schönen Wetter sind viele Fans einfach gelaufen, statt sich teuer kutschieren zu lassen. Zumal insgesamt auch weniger Geschäftsleute als üblich in der Stadt waren.

Taxi-Innung ärgert sich

Zudem haben neue Taxi-Zulassungen das Geschäft der bereits bestehenden Betriebe vermiest. „Das hat die wenigen Zusatzeinnahmen während der WM sofort aufgefressen“, ärgert sich der Chef der Berliner Taxi-Innung, Bernd Dörendahl. Geschimpft hat die Branche auch über die Mietwagen des Fußballverbandes Fifa. Diese hätten wichtige Gäste direkt vor das Stadion chauffiert und somit normalen Taxis Konkurrenz gemacht, heißt es in der Branche.

Übel erwischte die WM die klassischen Unterhaltungsbranchen wie Kinos und Theater. Weil die Leute lieber Fußball guckten, blieben hier viele Plätze leer. Mehrere Freiluftkinos öffneten deshalb erst Anfang Juli – und hatten wenige Wochen später schon mit einem feucht-kühlen August zu kämpfen. Das Programmkino Arsenal am Potsdamer Platz schloss während der WM gleich ganz und nutzte die Zeit für anstehende Renovierungsarbeiten.

Zu leiden hatten auch die anderen Programmkinos. So zählte die Yorck-Kino-Gruppe mehr als ein Drittel weniger Besucher als in vergleichbaren Sommermonaten. Für Geschäftsführer Georg Kloster waren dafür zwei Dinge verantwortlich: „Die WM und das schöne Wetter.“ Dadurch sei die WM erst zu dem Sommerevent geworden, die Kinos waren entsprechend „schlecht besucht“. Erfolgreich sei allerdings das Gay Watch gewesen, das man für schwule und lesbische Fußballfans im Keller des Internationals eingerichtet habe. Geschäftlich habe dies die Verluste aber ebenso wenig herausreißen können wie der WM-Film „Deutschland – ein Sommermärchen“.

Besonders große Sportereignisse gibt es im kommenden Jahr nicht. Die nächste Großveranstaltung gibt es erst 2009: Dann steigt in Berlin die Leichtathletik-Weltmeisterschaft. Die Olympischen Sommerspiele kommen frühestens 2020. Zu den Höhepunkten zählt 2007 der Berlin-Marathon im September und im Juni – doch wieder Fußball – das DFB-Pokalfinale .