Herrenreiter ohne Posaune

Die Meisterschaft eines diskreten schwulen Selbstverständnisses im Film: Das Schwule Museum würdigt den Regisseur Luchino Visconti mit einer Hommage-Ausstellung zum 100. Geburtstag

VON BERT REBHANDL

Zu den weniger bekannten Tatsachen aus dem Leben von Luchino Visconti zählt, dass er 1957 in Berlin war, um im Rahmen der Festwochen das Ballett „Maratona di Danza“ von Hans Werner Henze zu inszenieren. Der deutsche Komponist und der italienische Filmkünstler – gut passten sie zusammen: Sie waren beide zutiefst elitär und gleichzeitig demokratisch.

Fotografien aus diesem Jahr sind nun auch in der Ausstellung zu sehen, mit der das Schwule Museum in Kreuzberg an den 100. Geburtstag von Luchino Visconti erinnert. In drei materialreichen Räumen werden hier Leben und Werk des vielleicht größten italienischen Ästheten des 20. Jahrhunderts auf die geläufigen Schwerpunkte seines Werks verdichtet. Deswegen wird auch Viscontis Homosexualität nicht zu einem Thema per se gemacht, sondern im Kontext seines Schaffens so behandelt, wie er selbst mit ihr umging: Sie ist allgegenwärtig, aber auf eine diskrete Weise. „Homosexualität war für Visconti kein Problem. Er posaunte sie nur nicht hinaus“, wird Jean Marais zitiert. Das Hinausposaunen übernahmen andere, zum Beispiel der Schauspieler Helmut Berger, der den Tod von Visconti im Jahr 1976 vor allem auf sich bezog: „Die größte Tragik meines Lebens. Mit 32 Jahren Witwe.“ Den Berliner Kommentar dazu gibt der Filmemacher Rosa von Praunheim ab: „Helmut Berger erzählte mir, dass er der einzige Weltstar sei, der von Visconti in den Arsch gefickt wurde. Visconti liebte das Schöne. Ich auch.“

Die von Wolfgang Theis zusammengestellte Schau im Schwulen Museum verzichtet weitgehend auf derart starke Worte. Kleinteilig, mit vielen Fotografien und Texttafeln, wird rekonstruiert, wie sich aus einem italienischen Aristokratensohn in den 1930er-Jahren ein zeitlebens kommunistisch eingestellter Künstler mit einem starken Interesse für Deutschland und das 19. Jahrhundert entwickelte. Als wegweisend wird seine Begegnung mit dem französischen Filmemacher Jean Renoir dargestellt. Visconti arbeitete 1936 noch als Kostümbildern an dessen nachmaligen Klassiker „Partie du Campagne“ – als er später nach Italien zurückkehrte, war er damit für das faschistische Kino erledigt und bereit für den Neorealismus.

Unter dieser Rubrik wird sein erster Film „Ossessione“ aus dem Jahr 1943 häufig geführt, dabei handelt es sich bei diesem Kriminalfilm doch eher um die Geschichte einer fatalen Leidenschaft. Schon damals bietet Visconti, so interpretiert es auch Wolfgang Theis, über die Figur des Spagnolo einen Ausweg an – eines deutlich schwulen Vagabunden, der die heterosexuelle Konstellation jedoch nicht zu sprengen vermag. Bis heute erstaunt, welch weiten Weg Visconti von „Ossessione“ bis zu seinen späten Filmen zurücklegte. In seiner Interpretation der berühmten Novelle „Tod in Venedig“ von 1971 gibt Visconti deutlich mehr von seinem homosexuellen Selbstverständnis preis, als es sich Thomas Mann als Autor der literarischen Vorlage getraut hätte: Bei Visconti wird aus dem Jungen Tadzio mehr als nur ein passives Objekt der Begierde, mehr als eine Projektionsfläche künstlerisch sublimierter Neigung – Visconti inszeniert Tadzio als schwule Ikone. Wie aus einem ausgestellten Brief von Golo Mann hervorgeht, war Visconti später auch für eine Verfilmung des „Zauberberg“ im Gespräch.

Deutlich wird in der Ausstellung, wie eng Visconti und Berlin vor allem über die Archive verbandelt sind: Der Nachlass von Marlene Dietrich, den das Filmmuseum verwaltet, weist gute Bestände zu Visconti auf – das wurde bereits 2003 in dessen Ausstellung „Götterdämmerung“ deutlich. Ohne in die Wiederholungsfalle zu tappen, greift auch Wolfgang Theis für seine Ausstellung auf diese Bestände zurück und schöpft aus dem Berliner Reichtum an „Viscontialia“. Ein Brief an die Dietrich birgt denn auch einen der intimsten Momente der Ausstellung: In den 70er-Jahren schreibt Visconti, er und seine Freunde seien gerade ganz „marlenisiert“ („marlenizé“), weil das italienische Fernsehen alle Dietrich-Filme ausstrahle.

Später wurde dann Helmut Berger der Blaue Engel der Spätgeborenen, und Rainer Werner Fassbinder trat in mancherlei Hinsicht das Erbe von Visconti an: Er widmete sich der filmischen Untersuchung deutscher Ideologie – konnte allerdings den schon sehr schnell etwas antiquierten aristokratischen Habitus Viscontis nicht aufbieten. Um zu erkennen, wie weit Viscontis Epoche inzwischen in die Vergangenheit zurückgesunken ist, muss man im Schwulen Museum nur einen Blick um die lebensgroße, Blicke fangende Pferdeskulptur am Eingang vorbei werfen: Denn man darf das kleine Foto nicht übersehen, auf dem der Herrenreiter Visconti im Jahr 1939 zu sehen ist – auf dem Rücken seines Pferdes Lafcadio gewann er damals, ganz Großbürger, das Derby des Gran Premio von Fascio. Dieses Bild weist auf die Qualität dieser Ausstellung: Sie macht aus Visconti keinen Zeitgenossen und keinen Parteigänger, sondern belässt ihn in seiner Einzigartigkeit.

Bis 5.3. im Schwulen Museum, Kreuzberg