Shakespeare im EuroGlobe

Deutschland sollte die Ratspräsidentschaft nutzen, um die EU-Kulturpolitik anzustoßen. Denn nur Kultur kann Europa eine Seele geben: fünf konkrete Vorschläge

Das Kulturprogramm der EU hat einen Etat, der dem zweier deutscher Opernhäuser entsprichtJeder zweite Diplomat könnte durch Kulturvermittler ersetzt, die Kulturinstitute vernetzt werden

Die Europäische Union ist heute an einem Punkt angelangt, der es schwierig macht, Zustimmung oder gar Enthusiasmus für ein gemeinsames Europa zu entfachen. Durch die Ablehnung des Verfassungsvertrages in den Niederlanden und in Frankreich hat sich der Eindruck verstärkt, dass Europa in eine manifeste Identitätskrise geraten ist. Die alten Mitgliedstaaten haben den „Globalisierungsblues“.

Im Winter 2004 fand in Berlin eine große Kulturkonferenz statt, das Motto lautete: „Europa eine Seele geben“. Die Botschaft war: Wir brauchen Kunst und Kultur, um die Menschen zu erreichen. Öffentliche und offene Debatten sind nötig, um herauszufinden, wo die europäische Reise hingehen soll. Der gemeinsame Markt allein reicht dafür nicht aus, denn: „You do not fall in love with the internal market.“

Wer Europa eine Seele geben will, muss umsteuern. Kultur und Kulturpolitik spielen dabei eine besondere Rolle, sie stellen europäischen Dialog und Austausch her. Das neue Kulturprogramm für 2007 hat drei Ziele: die Mobilität von Künstlern und Akteuren, die im Kulturbereich arbeiten, und die Mobilität von Kulturgütern sowie den interkulturellen Dialog zu fördern. Das neue Programm ist mit 400 Millionen Euro für 27 Mitgliedsländer dotiert, was an sich schon ein Hohn ist. Pro Jahr bedeutet dies zirka 60 Millionen Euro Kulturetat für ganz Europa: Das entspricht dem Betrag, den zwei große Opernhäuser in Deutschland pro Jahr an staatlichen Zuschüssen erhalten.

Deswegen gab es 2005 auch eine große Kampagne, um den Kulturetat drastisch zu erhöhen. Im Durchschnitt wurden in der letzten Finanzplanungsperiode von 2000 bis 2006 7 Cent pro Unionsbürger für Kultur ausgegeben: Ziel der Kampagne „70 cents for culture“ war eine Verzehnfachung des Betrags auf 70 Cent. Für eine Mehrheit im Rat und eine signifikante Erhöhung des Kulturetats hat es leider nicht gereicht. Aber nur, wenn sich die Regierungen von der Nettozahler-Mentalität verabschieden und die gemeinsame Politik eine neue Wertigkeit erhält, wird Europa die richtigen Zukunftsinvestitionen tätigen. Davon sind wir leider weit entfernt.

Wie schade, dass wir angesichts der Ängste, Kultur könnte durch Europäisierung und Globalisierung immer uniformer werden, nicht mehr Geld ausgeben für die Übersetzung europäischer Minderheitensprachen. Warum ermöglichen wir nicht allen EU-Studierenden ein Erasmus-Stipendium? Warum haben wir nicht mehr Ressourcen für Städtepartnerschaften, wo wirklich europäische Kontakte und europäische Identität von unten wachsen? Warum präsentieren wir die europäische kulturelle Vielfalt nicht gemeinsam der Welt? Die Europäische Union muss Geld für die richtigen Zukunftsinvestitionen ausgeben, wenn man Europa aus der Krise führen will.

Mit fünf Schlüsselprojekten können wir – neben der besseren Unterstützung unserer bestehenden Vorzeigeprojekte wie dem Erasmus-Programm – in eine neue Qualität der europäischen Kulturpolitik einsteigen. Als Zeichen einer anderen und umfassenden europäischen Außenpolitik müssen wir der kulturellen Annäherung einen zentralen Stellenwert einräumen. Warum tauschen wir nicht die bestehenden Strukturen durch nur eine aus?

Jeder zweite Diplomat könnte durch Kulturvermittler ausgetauscht werden, um einen ernsthaften kulturpolitischen und zivilgesellschaftlichen Dialog mit den gesellschaftlichen Kräften in anderen Teilen der Welt zu führen. Unsere europäischen Kulturakteure könnten in gemeinsamen Goethe-British-Council-Institut-Français-Cervantes-Instituten für einen Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern eintreten.

Wir müssen uns im interkulturellen Dialog engagieren, wenn wir unsere Demokratien erhalten wollen. Multikulturelle Gesellschaften sind kein Garten Eden, sondern eine Herausforderung, mit der realen Vielfalt und Komplexität von Kulturen, Religionen und der Migrationsrealität demokratisch zu leben und eine Politik der Anerkennung zu entwickeln. Das meint kein Werben für die Burka, sondern eine Auseinandersetzung mit dem Islamismus, um für eine Koexistenz mit einem demokratischen Islam zu werben.

Europa muss – wie schon mit der Unterstützung der „Unesco-Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt“ – deutlich machen, dass Kultur immer einen Doppelcharakter hat. Sie ist Ware und Bedeutungsträger. Die Auseinandersetzung um die Buchpreisbindung und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zeigen, dass Kulturgüter mehr als Waren sind. Deswegen dürfen sie nicht neoliberal be- und gehandelt werden.

Der Schauspieler Norbert Kentrup hat die Projektidee „EuroGlobe“ entwickelt. Ausgehend von Shakespeares „Wooden O“ wird ein mobiles Globe gebaut. Den Prototyp gibt es schon an der Düsseldorfer Oper am Rhein. Dieses EuroGlobe wandert jedes halbe Jahr mit den wechselnden Ratspräsidentschaften von Land zu Land, von Hauptstadt zu Hauptstadt. Es umfasst einen Raum für 1.000 Zuschauer und eine offene Bühne, wo jeder jeden sehen kann. Dort wird als großer europäischer Autor Shakespeare im Original gespielt. Es wird Shakespeare in der jeweiligen Landessprache aufgeführt – in Kooperation mit den Kunstakteuren, Schauspielern, Bildungseinrichtungen vor Ort. Auf diesem Wege entsteht ein europäisches Kulturnetzwerk. Zusätzlich soll es eine Dramatikerwerkstatt geben, wo junge Autoren aus den jeweiligen Ländern ihre Stücke zu europäischen Themen einreichen. Das Beste wird von einer Jury prämiert, aufgeführt und als Preis in alle europäischen Sprachen übersetzt. Ein europäisches Jugendparlament soll in diesem EuroGlobe tagen. Politische Debatten und Vorträge über Europas Zukunft werden dort veranstaltet. Künstler der jeweiligen Länder können dieses Globe schmücken. Auf diese Weise entstehen ein eigenes europäisches Kulturnetzwerk und ein neuer europäischer Kulturschatz. Wir bekommen ein neues Symbol für europäische Öffentlichkeit und europäischen Diskurs. Wäre das nicht schön?

Das Berliner Projekt „www.signandsight.com“ will einen europäischen, digitalen Kulturraum herstellen. Aus allen europäischen Zeitungen und Feuilletons werden die zentralen Kulturartikel ins Englische übersetzt und gleichzeitig in der Landessprache ins Netz gestellt. So entsteht noch am selben Tag eine europaweite Kulturplattform, die zu einem offenen Diskurs über europäische Kulturfragen einlädt.

Auch für den Kulturbereich gilt: Die selbst auferlegte Reflexionspause muss genutzt werden, um den Bürgern konkrete Resultate vorzulegen. Mit den vorgeschlagenen fünf Schlüsselprojekten liegen Ideen für den Einstieg in eine europäische kulturelle Öffentlichkeit vor. Der Ball liegt bei der deutschen Ratspräsidentschaft, sich mit Antworten und Ideen auf diese und andere Vorschläge zu beweisen. Damit wird sich entscheiden, ob Deutschlands Kulturpolitik europafähig wird. HELGA TRÜPEL