Kleine Metaphysik für zwischendurch

Eine aktuelle Studie enthüllt auf 550 präzisen Seiten, warum Horoskope praktisch immer funktionieren: wegen der schwammigen Formulierungen. Interessant auch, dass astrologische Ratschläge sich stark voneinander unterscheiden – je nachdem, ob sie sich an arme oder reiche Leser richten

VON WOLF SCHMIDT

Glaubt man der Bildwoche und ihrer „Star-Astrologin“ Annett Klingner, dann wird das neue Jahr ein Glücksjahr: „So günstig wie 2007 standen die Sterne tatsächlich lange nicht mehr.“ Die Cosmopolitan sieht das ähnlich: „Liebe, Lust, Erfolg 2007: Saturn beschert Ihnen eine wunderbare Zeit.“

Jahreswechsel sind immer auch Hochzeiten für Horoskope. Wie wird das neue Jahr? Geht es jetzt endlich aufwärts? Was sagen die Sterne dazu? Alles Humbug, denkt sich der aufgeklärte Leser. Doch drei Viertel der Deutschen werfen gerne mal einen Blick ins Horoskop, 15 Prozent sogar regelmäßig, so das Ergebnis einer Allensbach-Umfrage. Horoskope: Öffentlich oft belächelt – heimlich wohl ebenso oft gelesen.

Warum Horoskope so beliebt sind, hat die Sprachwissenschaftlerin Katja Furthmann herausgefunden. Ihre Antwort: Sie stimmen fast immer. Nicht etwa, weil sie die Zukunft richtig vorhersagen, daran glaubt Furthmann nicht; sondern weil sie so vage und mehrdeutig formuliert sind, dass sie überhaupt nicht falsch sein können. Deshalb trägt ihre fast 550 Seiten starke Doktorarbeit auch den Titel „Die Sterne lügen nicht“.

Rund 3.000 Horoskope in Zeitschriften wie Tina, Gala, Brigitte oder TV Movie hat die 27-Jährige ausgewertet. Zu den Tricks der Horoskopschreiber gehört, so Furthmann, nicht überprüfbare Behauptungen in die Texte einfließen zu lassen.

Da heißt es dann: „Sie haben einen heimlichen Verehrer.“ Oder: „Gut möglich, dass in den nächsten Tagen eine weitreichende Entscheidung auf Sie zukommt.“

Beliebt sind außerdem Sowohl-als-auch-Aussagen, bei denen sich die Leser das für sie Passende aussuchen können: „Sie könnten einen Jackpot knacken. Es wäre allerdings auch ein unerwarteter Karriereschritt möglich.“

Gerne benutzen Horoskoptexter auch zeitlose Möchtegernwahrheiten: „Wer wagt, gewinnt“, „Wer sucht, der findet“, „Wer zuletzt lacht, lacht am besten“. „Damit geht so gut wie jeder konform“, sagt Forscherin Furthmann.

Dass Horoskoptexte so greifbar sind wie ein nasses Stück Seife, stört jedoch die Wenigsten. Denn Menschen sind offenbar bereit, sich in schwammigen Formulierungen wiederzuerkennen, wenn diese, wie bei Horoskopen, scheinbar auf ihre Person zugeschnitten sind. Psychologen nennen dies den Barnum-Effekt, benannt nach einem Zirkusdirektor, dessen Kuriositätenkabinett für jeden Geschmack etwas zu bieten hatte. Wie stark dieser Effekt wirkt, zeigte sich in einem Experiment, das ein französischer Astrologiekritiker 1979 durchführte: Fast alle Teilnehmer befanden ein angeblich individuell für sie erstelltes Horoskop für zutreffend – obwohl alle das gleiche Horoskop erhalten hatten: das eines Massenmörders (siehe Kasten).

Um der „Vulgärastrologie“, wie Sprachwissenschaftlerin Furthmann Pressehoroskope nennt, größere Glaubwürdigkeit zu verleihen, greifen die Texter gerne zu Fachvokabular. „Weil Jupiter im Quadrat am Himmel steht, sollten Sie nichts überstürzen“, schreibt das Journal für die Frau. Und die Allegra glaubt zu wissen: „Venus wandert in das eigene Zeichen, steht in Konjunktion mit Jupiter – eine magische Konstellation.“ Pseudowissenschaftlicher Klimbim, der aber bei den Leserinnen und Lesern dennoch gut ankommt, selbst wenn sie nichts davon verstehen. „Durch Begriffe aus der Astrologie kann eine geheimnisvoll-wissende Autorität gestiftet werden, die den religiösen Bedürfnissen der Menschen entgegenkommt“, schreibt Furthmann. Pressehoroskope als die kleine Portion Metaphysik für zwischendurch.

Und auch wenn Horoskope nicht die Zukunft widerspiegeln – die gesellschaftliche Gegenwart ist allemal aus ihnen herauszulesen. Horoskope beinhalten Verhaltensvorschriften, sie teilen den Lesern direkt oder indirekt mit, wie sie sich in Sachen Beruf, Liebe, Freizeit, Finanzen und Gesundheit richtig zu verhalten haben.

Interessant dabei: Armen und Reichen empfehlen die Sterne offenbar Unterschiedliches. „Das Horoskop in einer Zeitschrift für sozial Schwächere ruft eher zur Kompromissbereitschaft auf als in einem Magazin für Gutsituierte“, erklärt Furthmann. Für die einen heißt es: „Hüten Sie sich davor, den Chef zu provozieren.“ Für die anderen: „Stellen Sie ihr Licht nicht unter den Scheffel.“ Während Hochglanzmagazine die Leserinnen dazu auffordern, sich auch mal ein Wellnesswochenende zu gönnen, raten Hausfrauenpostillen eher dazu, größere Anschaffungen auf später zu verschieben. Auch ein Ost-West-Gefälle lässt sich in den Horoskoptexten feststellen: In Zeitschriften und Zeitungen, die eher in Ostdeutschland verbreitet sind, wird häufiger zu Sparsamkeit aufgerufen. Außerdem sind im Osten öfter Ratschläge zu Bewerbungen und Jobsuche zu finden. „Horoskope spiegeln das wider, was in der Gesellschaft brisant ist“, sagt Furthmann. Eines haben alle Horoskope laut der Studie gemeinsam: Sie vermitteln den Lesern, dass ein glückliches Leben nur durch die Vermeidung von Extremen zu haben ist.

Einerseits soll man über seinen Schatten springen, andererseits aber nie über die Stränge schlagen. Einerseits im Beruf richtig lospowern, sich andererseits aber auch mal eine Auszeit nehmen. „Der Appell an die Mäßigung ist in allen Horoskopen das Leitprinzip“, sagt Furthmann.

Dass Horoskope unterschwellig Konformität und Anpassung vermitteln, hatte den Philosophen Theodor W. Adorno in den 60er Jahren zu einer scharfen Astrokritik veranlasst. Er hielt Horoskope für „unvereinbar mit der erreichten Stufe universaler Aufklärung“. Für Adorno zementierten sie den Status quo, anstatt zur Emanzipation beizutragen. Den Lesern werde nahe gelegt, sich mit den gesellschaftlichen Verhältnissen möglichst unkritisch abzufinden. Horoskope als Beruhigungsmittel für die Massen also, als Teil einer herrschaftsstabilisierenden Kulturindustrie.

Ganz so kritisch will Sprachwissenschaftlerin Furthmann Horoskope jedoch nicht sehen. Denn sie können ihrer Meinung nach auch positive Funktionen erfüllen. Die Mehrheit der Leser will von Horoskopen einfach nur unterhalten werden, so das Ergebnis einer Befragung, die Furthmann für ihre Doktorarbeit durchgeführt hat. „Die meisten nehmen die Texte nicht sehr ernst, sondern lesen sie eher mit einem Augenzwinkern“, sagt sie.

Andere Leser fänden in Horoskopen eine Instanz, die ihnen Lob und Ermutigung, Trost und Beruhigung, Bestätigung und Beistand gebe. „Fast schon wie ein persönlicher Freund, der Anteil nimmt am eigenen Leben.“

Bleibt eigentlich nur noch eine Frage: Was bringt denn nun das neue Jahr? Das steht, womöglich, in den Sternen.