Keine Zeit für den Bürgerplausch

Gut gemeint, aber völlig unrealistisch findet die Gewerkschaft den Plan des Polizeipräsidenten. In Problemkiezen stärker auf Bewohner zuzugehen, sei mit dem knappen Personal nicht zu machen

„Wer im Kiez ist und Leute kennt, erkennt Probleme früh“

von ULRICH SCHULTE

Die Idee des Polizeipräsidenten, in Problemkiezen stärker auf Bürgernähe zu setzen, löst bei der Polizeigewerkschaft gemischte Gefühle aus. „Der Vorschlag ist inhaltlich richtig, aber angesichts der katastrophalen Personallage völlig unrealistisch“, sagte gestern Eberhard Schönberg, der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Bereits jetzt sei der Außendienst in den Polizeiabschnitten völlig überlastet. Im Kern entspreche der Plan den Forderungen der GdP, die Bürgernähe zu erhöhen, um damit Gewalt abzubauen.

Die Idee von Dieter Glietsch, Berlins oberstem Polizisten, ist einfach: Streifenbeamte sollen in Neukölln, Kreuzberg oder im Wedding öfter zu Fuß durch ihr Viertel schlendern, mit Jugendlichen reden oder mit Gewerbetreibenden Tee trinken – um so persönliche Nähe aufzubauen. Jede Dienstgruppe soll einzelne Beamte einzelnen Straßenzügen zuordnen: „Unsere Vorstellung ist, dass diese Mitarbeiter möglichst oft Gelegenheit erhalten, in ihrem Kontaktbereich Streife zu gehen, sich bei den Menschen, die dort leben und arbeiten, bekannt zu machen und diesen Kontakt zu pflegen“, so Glietsch.

Gewerkschaftschef Schönberg wirft ihm vor, in den Dienstgruppen die Personalausstattung viel zu hoch anzusetzen. „Elternteilzeiten, Urlauber oder Kollegen, die dienstfrei haben, werden mitgerechnet – obwohl sie im täglichen Dienst nicht zur Verfügung stehen. Das ist unrealistisch.“ In vielen Abschnitten sei die Arbeitsbelastung so groß, dass manche Aufgaben zurückgefahren würden, zum Beispiel nächtliche Fahrten mit dem Funkstreifenwagen, sagt Schönberg. „Den Kollegen noch mehr aufzubürden, ist nicht drin.“ Im Moment arbeiten laut Gewerkschaft 16.350 Polizisten in Berlin.

Glietsch will mit dem Plan an den Kontaktbereichsbeamten – kurz: „Kob“ – anknüpfen, den es bis Ende der 90er in Berlin gab. Er war in seinen Straßen unterwegs und ansprechbar. Seit Einführung des Berliner Modells im Jahr 1998 übernahm die Schutzpolizei vermehrt Aufgaben der Kripo. Glietsch betont, es gehe nicht um eine Abkehr vom Berliner Modell – in ihm sei vielmehr die Intensivierung der Betreuung der Kontaktbereiche angelegt. Die Beamten könnten die Aufgabe natürlich nur mit begrenztem Zeitansatz wahrnehmen, so Glietsch.

Der Gesamtpersonalrat der Polizei findet die Reanimation des Kiezpolizisten sympathisch – auch als eine Art Vorwarnsystem. „Wer ständig im Kiez ist und die Leute kennt, erkennt problematische Entwicklungen früh“, sagt der Vorsitzende Uwe Hundt. So könne die Polizei früh und gezielt Präventionsprojekte starten. In punkto Überlastung ist er optimistischer als die Gewerkschaft. Natürlich sei die Wiederbelebung nicht von heute auf morgen machbar, sagt Hundt. „Wir halten auf lange Sicht eine flächendeckende Einführung in allen Bezirken für möglich.“

Laut Hundt bearbeiten die Abschnitte inzwischen rund die Hälfte der Kripo-Aufgaben. Die Beamten vernehmen zum Beispiel Verdächtige oder führen Ermittlungen. Wenn ein Beamter eine Woche lang nicht aus der Dienststelle herauskomme, könne das in der nächsten wieder anders aussehen, sagt Hundt. Wenn nun die Prioritäten neu gesetzt würden, sei es durchaus möglich, Einzelnen bestimmte Straßen zuzuweisen, so sein Fazit.

Die Charmeoffensive der Polizei ist auch eine Reaktion polemisch geführter Debatten der letzten Zeit. Im Wrangelkiez hatten im November 2006 einige Jugendliche versucht, die Festnahme zweier Zwölfjähriger zu verhindern – wobei sie eine aufgebrachte Menschenmenge anfeuerte. Die Polizei gab danach eine sehr undifferenziert Mitteilung heraus, manche Zeitungen schrieben von einem „Mob“.