Neue Tram trennt Paris von Banlieues

Die französische Hauptstadt hat nach 70 Jahren wieder eine Straßenbahn. Das ist nicht für alle ein Grund zur Freude

PARIS taz ■ Für „Straßenbahn“ gibt es kein französisches Wort. Aber einen großen französischen Markt. Mehr als ein halbes Jahrhundert nachdem die Tramway – kurz: Tram – verschrottet wurde, ist sie in Frankreich wieder ganz groß in Mode. Sie rollt bereits durch 16 Städte und ist in sieben weiteren im Bau. Seit zwei Wochen gibt es auch in Paris wieder eine Straßenbahnlinie.

Die T3 ist ein Erfolg bei den HauptstädterInnen und ein Ärgernis für VorstädterInnen. Denn die T3 überquert sämtliche Einfallstraßen aus der südlichen Banlieue – und hat dort auch Vorfahrt. So schafft sie überall Nadelöhre.

Die 7,9 Kilometer lange Trasse für die T3 ist in der Rekordzeit von drei Jahren gebaut worden. Sie beginnt im südwestlich gelegenen 15. Arrondissement und führt entlang der Stadtgrenze bis ins südöstlich gelegene 13. Arrondissement. Die Boulevards sind komplett umgebaut und für den Autoverkehr verengt worden. Wenn es keine Staus gibt, braucht die T3 24 Minuten von der Start- bis zu Endhaltestelle. Bis 2012 soll die Strecke um den kompletten Osten von Paris herumführen.

Die T3 war die größte Baustelle in Paris seit 1973. Damals ließ Staatspräsident Pompidou breite Asphaltschneisen durch die Stadt schlagen. Es war die Zeit, als sich alles darum drehte, das Fortkommen der AutofahrerInnen zu vereinfachen. Heute gilt die umgekehrte Maxime: AutofahrerInnen schikanieren. Denn Paris erstickt im Smog. Und steht von morgens bis abends und stellenweise sogar noch weit nach Mitternacht im Stau.

Wegen dieser Zustände ist 2001 erstmals eine rot-rosa-grüne Stadtregierung gewählt worden. Die traute sich nicht, nach dem Vorbild des Londoner Bürgermeisters „Eintrittsgeld“ für Autos zu erheben, weil das „unsozial“ sei und vor allem die finanzschwachen VorstädterInnen treffen würde. Aber sie baute Paris um: ließ Trottoirs verbreitern. Fahrbahnen verengen. Bus- und Radspuren anlegen. Und legte die neue Tram an.

320 Millionen Euro hat der Bau der T3 gekostet. Nach der gescheiterten Pariser Olympiabewerbung für 2012 ist sie das größte Prestigeobjekt, das Bürgermeister Bertrand Delanoë hinterlassen wird. Eineinhalb Jahre vor den nächsten Kommunalwahlen ist so etwas wichtig. Straßenbahnen haben in den vergangenen Jahren in Frankreich vielerorts über den Ausgang von Kommunalwahlen entschieden. In Paris hat zwar noch der einstige rechte Bürgermeister Jean Tiberi im Jahr 2000 die Grundsatzentscheidung für eine Tram herbeigeführt. Doch die konkrete Umsetzung war „links“. Die rechte Opposition im Rathaus hat sogar die Eröffnungszeremonie der T3 boykottiert. Oppositionschefin Françoise de Panafieu schilt die Straßenbahn als „dritte Mauer zwischen Paris und Banlieue“.

Tatsächlich bezweifeln nicht nur Oppositionelle, dass die Tram die angemessene Lösung für das Verkehrschaos war. Denn der Stadtkern von Paris, in dem nur 1,8 Millionen Menschen wohnen, hatte schon vor der Tram eines der dichtesten Netze von öffentlichen Verkehrsmitteln weltweit. Die Banlieue hingegen, der Großraum Paris mit seinen 8 Millionen HaupstädterInnen, ist weiterhin unterentwickelt. Dort sind dringend zusätzliche öffentliche Verkehrsmittel nötig. Viele Gemeinden in der Banlieue – vor allem jene mit den einkommensschwächsten BewohnerInnen – haben weder Métro noch S-Bahn-Anschlüsse. Es gibt kaum Querverbindungen von einer Banlieue zur nächsten. Zusätzlich werden die BewohnerInnen, die oft wegen ihrer geringen Einkommen in weit entfernten Billigwohnungen leben, dadurch bestraft, dass sie viel mehr für Monatskarten bezahlen müssen als die gut verdienenden PariserInnen.

KritikerInnen der neuen Pariser Tram T3 merken außerdem an, dass es vorrangig gewesen wäre, das exzellente, aber veraltete Pariser Métro-Netz zeitgemäß zu gestalten. Bis heute sind die meisten Métro-Stationen unzugänglich für Behinderte, Alte und Erwachsene mit Kinderwagen. Sie haben keine Aufzüge.

Die Stadtverwaltung geht davon aus, dass die Kritik nicht lange halten wird. Ein gewichtiges Argument für die T3 sind die Kosten: Eine Metrolinie wäre fünfmal teurer. Und die Arbeitsplätze: Die T3 stammt wie die meisten französischen Trams von dem französischen Konzern Alstom. DOROTHEA HAHN