Sie hat Spaß daran zu schlagen

Angelina Maccarones Drama „Verfolgt“ erzählt von einer sadomasochistischen Beziehung – mit beeindruckend genauem Blick für Machtverhältnisse

von INES KAPPERT

Junge Männer spielen Basketball auf einem dunkel umschatteten Hof. Verbissen kämpfen sie um den Ballbesitz. Es kommt zum Gerangel – und während die andern weiter ihr Spiel betreiben, bleibt einer getreten liegen: Jan. Jan ist siebzehn, straffällig und gerade im Knast. Als er sich anschließend duscht, streicht er sich sacht über die Striemen am Rücken. Dann fokussiert die Kamera seine Augen: schwarz, schön, groß und gierig. In dem Moment wird klar: Der Junge ist nicht einfach ein geprügeltes Opfer, dieser Junge will etwas.

Der Titel des neuen Films von Angelina Maccarone lautet schlicht „Verfolgt“. Er ist komplett in Schwarzweiß gedreht, die Inszenierung von Schatten und Licht bestimmt die grobkörnige Ästhetik, die wiederum die Assoziation zu Videokameras, zur heimlichen Überwachung, zum medial vermittelten Voyeurismus nahe legt. Auch die Augen von Jan (Kostja Ullmann) kündigen es an: Die nun folgende Geschichte kreist um ein dunkel glühendes Begehren.

Dessen Adressat findet sich in einer Blondine: Elsa ist fünfzig Jahre alt, hoch gewachsen und daran gewöhnt, dass ihre Anweisungen befolgt werden. Die Figur erinnert an die beliebten, selbstbewusst-lässigen TV-Kommissarinnen und wird von der TV-Vorzeige-Lesbe Maren Kroymann mit hoher Intensität, fast Dringlichkeit gespielt. Elsa arbeitet erfolgreich als Bewährungshelferin; sie holt Jan aus dem Knast. Ihre Aufgabe ist klar definiert: Sie soll dem Jungen bei der Rückkehr in die gesellschaftliche Normalität eine Unterstützung sein, sie soll ihn reintegrieren. Das aber klappt nicht so ganz. Denn Jans Avancen bringen sie aus dem Konzept. Schon bei den ersten Begegnungen erfährt ihre Selbstinszenierung als abgebrühte, aber verantwortungsvolle Sozialarbeiterin Risse. Die Kamera klebt nun auch an ihren dunklen Augen. Auch darin flackert es.

Doch nein: „Verfolgt“ erzählt nicht die sattsam bekannte Geschichte einer zum Scheitern verurteilten Liebe zwischen einem Jungen und einer älteren Frau. Stattdessen setzt der Film mit formaler Strenge und hocherotisch eine sadomasochistische Leidenschaft in Szene. Nicht Durchdringung, nicht Zweisamkeit, sondern Einsamkeit, Schmerzerfahrung, Unterwerfung und die Lust an der Macht – das sind die Emotionen, die hier von Jan und Elsa geteilt werden.

Die Inszenierung von Maccarone beunruhigt. Jedoch nicht, weil mit der Grundkonstellation des S/M heterosexuelle Konventionen durchbrochen werden; für einen Tabubruch per se ist eine S/M-Geschichte heute zu abgedroschen. Beunruhigend ist, dass Maccarone Darstellungskonventionen von S/M im Film auf radikale Weise unterläuft. So wird das ungewöhnliche Begehren nicht an einem artifiziellen und eigens dafür geschaffenen Ort oder Milieu ausgelebt, etwa einer Bar, einem Transen-Club, einem Studio, in dem sich Gleichgesinnte treffen – wie zuletzt in „Shortbus“ von John Cameron Mitchell zu sehen. Die gewalttätige Beziehung zwischen Elsa und Jan bleibt eingewoben in Alltagsverhältnisse, die von struktureller Gewalt bestimmt sind, und sie reproduziert diese Verhältnisse. Elsa ist die beruflich erfolgreiche Frau und Mutter, eine im hohen Maße selbstbestimmt lebende Frau. Sie kann zwischen verschiedenen Begehrenspraktiken wählen, kann sowohl guten Sex mit ihrem Ehemann haben als auch die Geschichte mit Jan. Jan nicht. Sein Beschädigtsein ist zu offensichtlich, das vermag selbst seine Schönheit nicht wettzumachen. Daher bleibt ihm nur, seine Fixierung auszuagieren, indem er die eigene Verletzbarkeit und die Narben in seinem Intimleben ausstellt, reinszeniert und vervielfältigt. Was beunruhigt, ist: Elsa weiß das, er ahnt es – und sie spielt ihre Macht aus. Schamlos und mit Freude an der Ungerechtigkeit. Genießen tun es beide.

Genau in dem Ausbleiben der Scham liegt die Radikalität des Films. „Verfolgt“ durchleuchtet eine unmoralische Leidenschaft, die sich und andere wissentlich verletzt, ohne dass Schuldgefühle aufkommen. Ruft man sich Klassiker wie „Belle du Jour“ (1967) oder die Hollywood-Schmonzette „Ein unmoralisches Angebot“ (1992) in Erinnerung, dann begreift man, wie oft ein von Frauen unternommenes Unterschreiten der Moral am Ende mit totaler Unterwerfung unter die patriarchalen Regeln und mit jeweils großem Unglück zu bezahlen ist. Dagegen ist „Verfolgt“ in Sachen Emanzipation tatsächlich im 21. Jahrhundert angekommen. Stringent fordert der Film die aktuell wirkmächtige symbolische Ordnung heraus. Denn weder entweiblicht er gewaltbereite Frauen, noch entmännlicht er unterwerfungswillige Männer, um sie dann schließlich gemeinsam zu enterotisieren. Stattdessen enthält er sich einer Bewertung. Und das ist verdienstvoll.

Das Beste aber ist, dass der Film weibliches Begehren vom Verdikt der Fürsorge und Herzenswärme löst, ohne es deswegen ideell aufzuwerten. Es wird gar nicht erst versucht, Elsas Lust an der Dominanz schönzureden. Elsa ist nicht die geknechtete Frau, die jetzt endlich mal draufhaut. Sie hat kein moralisches Recht darauf, Jan zu schlagen, sie hat nur Spaß daran. Damit wird die begehrenstechnische Emanzipation der weißen Mittelschichtsfrau von Maccarone genau als das gezeigt, was sie ist: als freudvoll egoistische Lebensführung, die keine Hierarchien abschafft, sondern sich ihrer in aller Selbstverständlichkeit bedient. Elsa klagt ein, was das Bürgertum seinen Anhängern verspricht: das Privileg, sein individuelles Glück zu machen. En passent führt sie dabei eine Konvention ad absurdum, die nach wie vor insbesondere Frauen verpflichtet: dass nämlich persönliches Glück über Anpassung an das gesellschaftliche Regelwerk zu ergattern wäre. Elsa weiß das ein bisschen besser.

„Verfolgt“. Regie: Angelina Maccarone. Mit Maren Kroymann, Kostja Ullmann u. a. Deutschland 2006, 80 Min.