Mehr Straßenkids

Die Zahl der wohnungslosen Kinder und Jugendlichen, die aus dem Umland nach Berlin kommen, nimmt zu

Christiane F. hat es vorgemacht, Kinder und Jugendliche aus ganz Deutschland machen es nach: Sie verlassen ihr Elternhaus, um sich in Berlin auf der Straße durchzuschlagen. „Die Stadt ist in der Szene sehr populär. Kids aus allen Bundesländern kommen hierher“, sagt Dolly Conto Obregón vom Internationalen Straßenkinder-Archiv. Diese Erfahrung hat auch Markus Seidel von der Streetworker-Organisation „Off Road Kids“ gemacht: „Jugendliche, die von zuhause abhauen, wissen: In Berlin treffe ich Gleichgesinnte.“

Zwar gibt es zu Straßenkindern keine verlässlichen Zahlen. Doch die Senatsverwaltung für Jugend geht davon aus, dass die Zahl der Straßenkinder in Berlin in den vergangenen Jahren mehr geworden ist. „Die Metropole hat eine besondere Anziehungskraft. Kinder und Jugendliche aus dem Umland kommen zu uns“, sagt Sprecher Kenneth Frisse. Das sei vor der Wende anders gewesen, als Westberlin noch eine Insel war.

Aufgrund dieser Entwicklung habe die Senatsverwaltung zum Jahreswechsel einige Einrichtungen, darunter die Kontakt- und Beratungsstelle (KuB), miteinander verbunden und dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg unterstellt. Bedürftige Kinder und Jugendliche bekämen so Zugang sowohl zu Notdiensten als auch zu Beratungsstellen und Schlafplätzen. KuB begrüßt die Vernetzung grundsätzlich.

Berlin verfügt über eine Reihe von Hilfsorganisationen für Straßenkinder. Neben KuB ist das Streetwork-Projekt „Drugstop“ eine Anlaufstelle. Die Streetworker sprechen nach eigenen Angaben mit 500 Jugendlichen pro Jahr.

NGOs führen die Zunahme der Straßenkinder auf die steigende Armut in Deutschland zurück. „Mit der sozialen Kälte hat auch die Verwahrlosung der Kinder zugenommen. Wenn wir nichts gegen die Perspektivlosigkeit der Eltern tun, werden wir auch die Kinder nicht in den Griff bekommen“, sagt Dolly Conto Obregón. Berlin muss sich auch weiterhin auf Straßenkinder einrichten: Die Anonymität der Großstadt bietet ihnen Schutz. „Straßenkinder finden hier alles, was sie brauchen: Drogen, Freier und Geld“, sagt Obregón. ANTJE LANG-LENDORFF

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