Die Werra-Suppe weiter versalzen

Trotz vieler Bemühungen ist die Werra noch immer stark mit Natriumchlorid belastet. Jetzt will eine Düngemittelfirma durch eine 63 Kilometer lange Pipeline zusätzlich Salz in den Fluss leiten, um Umweltschäden an anderer Stelle zu beseitigen

VON KLAUS-PETER
KLINGELSCHMITT

Die Groppen fühlen sich in der Werra wohl. Dabei leben die meisten der kleinen Fische aus der Familie der Panzerwangen eigentlich im nördlichen Pazifik. Doch noch vor wenigen Jahren waren die Groppen die einzigen Fische in der Werra. Denn der Fluss war so schwer mit Salz belastet, dass er auch für Meeresbewohner angenehm war. In den vergangenen Jahren wurde die Belastung zwar unter die geltende Grenzwertmarke von 2.500 mg pro Liter gedrückt. Doch ein geplantes Bauprojekt der Kasseler Düngemittelfirma Kali und Salz droht Umweltschützern nun die Suppe in der Werra zu versalzen.

Das Unternehmen plant nämlich, eine 63 Kilometer lange Abwasserpipeline von Neuhof bei Fulda bis nach Phillipstal an der Werra zu bauen. Dadurch sollen jährlich unterirdisch rund 500.000 Kubikmeter salzhaltige Abwässer von den Abraumhalden beim Kaliwerk Ellers in den Fluss gepumpt werden.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts werden die beim industriellen Abbau von Kalisalz überall in der Region anfallenden salzhaltigen Abwässer in die Werra eingeleitet. Geradezu gigantisch mit Natriumchlorid (Salz) verseucht wurde der Fluss zu DDR-Zeiten. Denn die Kalikombinate im Bezirk Thüringen durften ihre Salzfrachten ganz ohne Auflagen in den Fluss pumpen. Bis heute zählt die Werra trotz aller Verbesserungen der letzten Jahre noch immer zu den Gewässern der schlechtesten Güteklasse in Europa.

Dennoch sei der Bau der Pipeline die „ökologisch und ökonomisch sinnvollste Variante“, sagt Ulrich Göbel von Kali und Salz. Die Trassenführung orientiere sich an bestehenden Erdgasfernleitungen. Eingriffe in das Landschaftsbild beschränkten sich auf ein „Mindestmaß“. Und das Unternehmen übernehme zudem alle anfallenden Kosten.

Kali und Salz kommt damit einer Auflage des Regierungspräsidiums in Kassel nach. Die Behörde monierte, dass bei Regen die Salzauswaschungen der riesigen weißen Abraumberge unkontrolliert im Erdreich versickerten. Natürlich werde auf die Einhaltung des entsprechenden Grenzwertes geachtet, so Unternehmenssprecher Göbel. Der stammt allerdings von 1942 und wurde als „kriegsbedingte Ausnahme“ festgelegt. Sigrid Erfurth von den Grünen im Hessischen Landtag hält ihn daher für „viel zu hoch“. Hoch ja, aber „ökologisch vertretbar“, sagt Göbel.

So „vertretbar“, dass eine alternativ avisierte Einleitung in den Main wieder verworfen werden musste. Denn der fließt in den Rhein. Und das internationale Rheinschutzabkommen verbietet Salzlaugeneinleitungen in den europäischen Strom. Auch für die Werra halten Gewässerexperten von Umweltschutzverbänden einen Grenzwert von lediglich 100 mg/l gerade noch für akzeptabel. Nur so könne sich der Fluss weiter regenerieren. Mit dem Bau der Pipeline dagegen würde der schlechte Zustand der Werra auf Jahrhunderte hin zementiert.

Der Umweltausschusses des Hessischen Landtags will im März mit den entsprechenden Ausschüssen der Landtage von Thüringen und Niedersachsen konferieren. Denn auch dort rege sich inzwischen Bürgerprotest gegen das Großprojekt, berichtet Ursula Hammann von der hessischen Landtagsfraktion der Grünen. Hessen sei in der Pflicht, weil der Regierungspräsident in Kassel als Genehmigungsbehörde fungiere. „Wir sind dafür verantwortlich, dass die europäische Wasserrechtsrahmenlinie umgesetzt wird“, sagte Hammann. Und danach sollen Gewässer sauberer werden.

Was soll aber dann mit dem Abwasser der Halden von Neuhof geschehen? Pipelinekritiker fordern, die Halden abzutragen und die leeren Kalistollen damit zu verfüllen. Das aber, meinen die Verantwortlichen bei Kali und Salz, bedeute „massive geologische Risiken“. Das instabile Material könnte Stollen einbrechen lassen. Auch eine Verfüllung mit Salzlauge komme nicht in Frage; Stützpfeiler und Gesteine könnten von der aggressiven Lauge zerfressen werden. Möglich sei noch die sogenannte Einhausung der Kaliberge mit einer Vegetationsschicht, so Unternehmenssprecher Göbel. In Neuhof werde aber weiter Kali abgebaut, sodass schnell ein neuer Berg entstehen würde. Und für die Zuschüttung der schon existierenden Kaliberge bräuchte man rund 100 Millionen Tonnen Gestein und Erde.

Für Kali und Salz gibt es deshalb „keine Alternative zum Pipelinebau“. Der juristische Weg dorthin wird lang und steinig sein. Schon jetzt liegen für die Werra vor- und fürsorglich rund 1.000 Einwendungen gegen das Projekt vor.