DIE SPD WILL AUS ARBEITSLOSEN WORKING POOR MACHEN
: Vollzeit für 4,50 Euro

Mitten in der Hochkonjunktur kümmert sich die SPD um die Arbeitslosen. Das zeugt von Realitätssinn: Die Hartz-IV-Empfänger werden nicht verschwinden, nur weil die Wirtschaft wächst. Allerdings tun sich die Sozialdemokraten schwer, eine Lösung zu finden. Nun wollen sie bis Ende Februar ein Modell prüfen, das sie bereits seit September untersuchen. Grob gesagt ist es ein Import aus England und den USA und heißt „negative Einkommensteuer“: Wer mindestens 30 Stunden pro Woche arbeitet und monatlich weniger als 750 Euro brutto verdient, soll keine Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung mehr zahlen müssen. Brutto wäre gleich netto. Bis zu einem Monatslohn von 1.300 Euro steigen die Sozialabgaben dann langsam auf den Normalsatz an.

Das Positive: Es wird zumindest versucht, die Absurditäten bei den deutschen Sozialabgaben zu minimieren. Anders als die Einkommensteuer werden sie bisher nicht progressiv erhoben. Auch bei Geringverdienern fallen Sozialbeiträge von insgesamt etwa 42 Prozent an. Das wirkt wie eine Strafsteuer für Niedriglohnjobs, die deswegen gar nicht oder nur schwarz entstehen. Diverse Regierungen haben bereits versucht, diesen Unsinn zu korrigieren. Besonders beliebt war der Minijob. Aber die Grenze von 400 Euro war immer willkürlich. Und zudem profitierten davon kaum Arbeitslose. Stattdessen wurden vor allem Rentner, Hausfrauen und Studenten subventioniert. Es ist nur konsequent, dass das Modell der „negativen Einkommensteuer“ die Minijobs abschaffen will und stattdessen systematischer beginnt, die Progression bei den Sozialabgaben einzuführen.

Trotzdem ist dieses Modell kein großer Trost: Es dürfte kaum neue Arbeit schaffen, sondern bestenfalls die vorhandene Arbeit neu verteilen. Also weg von den Rentnern, hin zu den Arbeitslosen. Und selbst wenn weitere Jobs entstehen sollten, liegen sie mit einem Stundenlohn von 4,50 Euro nur knapp über dem Existenzminimum. Letztlich denkt die SPD also darüber nach, wie sie aus Arbeitslosen Working Poor machen kann. Mit solch magere Visionen sollte sich eine Sozialdemokratie nicht begnügen. Schon gar nicht mitten in einer Hochkonjunktur. ULRIKE HERRMANN