Exerzierfeld Kinshasa

Der deutsch geführte EU-Einsatz im Kongo ist zu Ende, Präsident Kabilas Wahlsieg wurde abgesichert. Aber: Nicht die EU schreckte Kongos Warlords ab, sondern umgekehrt

Kongo beginnt, dem Zaire kurz vor Beginn der soeben beendeten Kriege Mitte der 90er-Jahre zu ähneln

Der Kongo-Einsatz der Bundeswehr ist beendet, die 780 deutschen Soldaten der 2.400 Mann starken EU-Truppe „Eufor RD Congo“ sind alle wohlbehalten wieder zu Hause. Die Wahlen im Kongo sind erledigt, das Land hat einen gewählten Präsidenten und ein gewähltes Parlament. „Der europäische Einsatz hat erheblich dazu beigetragen, dass die Wahl weitestgehend friedlich verlief und das Wahlergebnis von der kongolesischen Bevölkerung akzeptiert wurde“, lautet die Bilanz des Auswärtiges Amtes.

Gemessen an den Ängsten vor der Bundeswehrentsendung im Juni war der Einsatz tatsächlich problemlos. Weder mussten Deutsche auf Kindersoldaten schießen noch erlagen sie Tropenseuchen. Die Truppe rückte kein einziges Mal zum Kampfeinsatz aus und wurde nur selten Zielscheibe wütender Kongolesen. Unpassende Kleidung und undichte Zelte während der Regenzeit beschäftigten die Soldaten mehr als militärische Risiken im Feld.

Auf europäischer Ebene wird der Kongo-Einsatz seitdem vor allem im Hinblick auf künftige EU-Interventionen ausgewertet. Ja, die EU hat bewiesen, dass sie selbstständig Soldaten durch die Welt schicken kann. Nein, die Finanzierung längerer und komplizierter Einsätze kann die EU noch nicht sicherstellen. Ja, die unterschiedlichen Vorgehensweisen nationaler Kontingente sind zuweilen ein Hindernis. Nein, Probleme zwischen den Kontingenten selbst gibt es deswegen nicht. Ja, die besonderen deutschen Einsatzregeln sind ein Kuriosum, wenn zum Beispiel Soldaten ins Luxushotel ziehen, weil im provisorischen Lager nicht genügend Duschen stehen. Ja, das Experiment der Vergabe des Auftrags zum Bau eines Feldlagers an eine private Firma war ein Fehlschlag. Nein, der Kongo-Einsatz liefert keine Vorlage für ein Konzept dafür, wann die EU warum wo eingreifen soll; insofern sind Fragen nach einer Darfur-Truppe nicht mit den Erfahrungen von Kinshasa zu beantworten.

Von den politischen Dimensionen des Einsatzes ist kaum noch die Rede. Offiziell hatte es zuvor geheißen, die Eufor diene der Abschreckung potenzieller Störer des Wahlprozesses. Daraus leiteten deutsche und kongolesische Beobachter die Sorge ab, die EU-Truppe solle den von der internationalen Gemeinschaft erwünschten Wahlsieg Präsident Joseph Kabilas möglicherweise mit Gewalt durchsetzen helfen. So wurden EU-Militärkonvois zuweilen in Kinshasa angegriffen, vor allem ganz am Anfang.

Tatsächlich griffen die EU-Soldaten lediglich einmal in Kinshasa ein – zugunsten von Kabilas Gegner Jean-Pierre Bemba: Als Kabilas Armee im August die Residenz Bembas mitten in Kinshasa belagerte und mit schweren Waffen beschoss, halfen spanische EU-Einheiten den UN-Blauhelmsoldaten, die bei Bemba eingekesselten ausländischen Botschafter zu evakuieren. Das rettete den Ruf der Eufor.

Doch währenddessen befand sich Eufor-Kommandeur Karl-Heinz Viereck im Urlaub; wenn das tatsächlich egal war, wie er hinterher sagte, darf man sich über den Sinn der Potsdamer Eufor-Einsatzzentrale Gedanken machen. Nach der Evakuierung der Botschafter ging die EU-Truppe nicht weiter gegen die mehrtägigen Straßenkämpfe zwischen Kabilas und Bembas Armeen vor. Und später zog die Eufor-Führungsnation Deutschland ihren Kabila-kritischen Botschafter aus Kinshasa ab.

Das alles wirft die Frage auf, wer hier eigentlich wen abgeschreckt hat. Die Eufor schlug ihre Zelte beim Hauptquartier der kongolesischen Luftwaffe auf, und der Eingang zu ihren Kasernen war von der kongolesischen Armee abgeriegelt. Zu Einsatzbeginn Ende Juni wurde eines ihrer vier unbemannten Aufklärungsflugzeuge abgeschossen. Ein weiteres stürzte im August aufgrund technischer Probleme ab und verhalf Eufor zum zweifelhaften Ruhm, als erste Truppe der Welt mit dem Absturz eines unbemannten Flugzeuges Tote unter Zivilisten verursacht zu haben. Außerdem wurde Sabotage an der Luftüberwachung der Eufor gemeldet.

Somit in kritischen Momenten ihrer Fähigkeit zur Luftraumüberwachung beraubt, konnte die EU-Truppe nicht verhindern, dass während ihrer Präsenz in Kinshasa Präsident Kabila seine Truppen dort massiv aufrüsten konnte, entgegen geltender Vereinbarungen. Zu keinem Zeitpunkt überwachten die EU-Soldaten Kongos Außenhandelshafen Matadi oder die Militärlager Kinshasas. Ungestört konnten Dutzende Panzer für Kabilas Armee in die Hauptstadt gelangen, eingekauft vom besten Freund Deutschlands unter Kongos Generälen, der seine Aufrüstungspläne schon lange vorher auf deutschen Botschaftsempfängen kundtat – folgenlos.

Eingeschüchtert wurde die mehrheitlich Kabila-feindliche Bevölkerung Kinshasas davon sehr wohl; jenseits der radikalsten Jugendmilizen, die am liebsten heute als morgen zum Krieg blasen würden, trauten sich die Menschen an unsicheren Tagen nicht mehr auf die Straße. Insofern hat der europäische Einsatz vor allem durch seine Duldung der Kabila-Aufrüstung „erheblich dazu beigetragen, dass das Wahlergebnis von der kongolesischen Bevölkerung akzeptiert wurde“. Hätte Bemba dem ernsthaft etwas entgegengesetzt und Kinshasa zum Schlachtfeld erklärt, wäre die EU-Truppe vermutlich mangels militärischer Mittel zum lautlosen Abzug gezwungen gewesen.

Der EU-Einsatz ging schließlich Ende November ausgerechnet dann zu Ende, als Kabilas Wahlsieg gerade bestätigt war und seine Armee Kinshasa im Griff hielt. Es fehlt nicht viel, um darin ein „Mission Accomplished“ zu sehen. Fast alle Experten hatten gefordert, die EU-Truppe solle noch länger bleiben und nicht den Wahlsieg Kabilas, sondern die Amtseinführung einer gewählten Regierung als Schlusspunkt begreifen. Die EU – vor allem Deutschland – stellte sich dagegen.

Mit Eufor hat die EU bewiesen, dass sie selbstständig Soldaten durch die Welt schicken kann

Stabilität herrscht im Kongo heute nicht. Im Osten des Landes sind neue Kämpfe mit Rebellen aufgeflammt, in Kinshasa ist der Prozess der Bildung demokratischer Institutionen ins Stocken geraten. Die Wahl des Senats, zweite Kammer des Parlaments, wurde am Wochenende zum zweiten Mal verschoben. Die Parlamente der elf Provinzen, deren Abgeordnete die Senatoren und auch die Provinzgouverneure bestimmen sollen, haben sich noch nicht konstituiert; und hinter den Wahlkämpfen um Gouverneursposten formieren sich alte, blutige ethnische Konfrontationen. Der neue Premierminister Antoine Gizenga, Veteran des radikalsozialistischen Widerstandes gegen die Gewaltherrschaft im Kongo, beißt sich derweil an Kabilas Machtapparat die Zähne aus beim Versuch, eine neue Regierung zu bilden.

Kongo beginnt, dem Zaire kurz vor Beginn der soeben beendeten Kriege Mitte der 90er-Jahre zu ähneln, als nach außen hin Reformbemühungen eines korrupten Systems proklamiert wurden, im Innern aber lähmender Machtkampf tobte und lokale Konflikte sich allmählich ausbreiteten. Aus kongolesischer Sicht wird der EU-Einsatz eher eine Fußnote in der Geschichte des Landes gewesen sein.

DOMINIC JOHNSON