„Da stelle mer uns janz dumm …“

Heinrich Spoerl gilt weithin als Urheber der „Feuerzangenbowle“. Dass der Schriftsteller Hans Reimann den größten Anteil hatte, ignorieren Verlag und Literaturwissenschaftler. Reimann hatte Spoerl die Autorenschaft aus politischen Gründen übertragen – er wollte Repressalien durch die Nazis vermeiden

VON UWE KRÜGER

Es dürfte in diesem Land kaum jemanden geben, der das Pennälerlustspiel „Die Feuerzangenbowle“ nicht kennt. Gedreht im Kriegsjahr 1943 mit Heinz Rühmann als Teilzeitgymnasiast Hans Pfeiffer, nährt der Film die Sehnsucht nach einer heilen Vergangenheit, die es nie gegeben hat, und führt in Schülerstreichen eine Rebellion gegen die Autorität vor, der man sich freilich am Schluss wieder ordnungsgemäß fügt. Für den Schöpfer dieses Nationalheiligtums, sprich für den Urheber der Buchvorlage, hält die ganze Welt Heinrich Spoerl (1887–1955), den bekannten Düsseldorfer Autor heiterer Unterhaltungsromane.

Die ganze Welt? Nein, nicht ganz. In einer wenig begangenen Straße im Osten Leipzigs steht ein Mietshaus aus der Gründerzeit, an dessen Fassade 1999 eine Gedenktafel für einen anderen Mann montiert wurde, der angeblich „die Feuerzangenbowle ansetzte“: Hans Reimann (1889–1969). Der war Schriftsteller und Satiriker, wurde in Leipzig geboren, war dort Herausgeber satirischer Zeitschriften und erlangte einige Bekanntheit mit den „Sächsischen Miniaturen“, in denen er unter anderem Sachsens letzten König durch den Kakao zog („Macht euern Dreck alleene“).

Recherche in der Schule

Dass dieser Reimann der eigentliche Urheber der „Feuerzangenbowle“ ist, behauptet er selbst in seiner Autobiografie, die 1959 unter dem Titel „Mein blaues Wunder“ im Münchner List-Verlag erschien. Dort stellt er dar, dass er 1931 während der Lektüre der Kurzgeschichte „Besuch im Karzer“ von Ernst Eckstein die Idee zu dem Stoff gehabt und mit dem befreundeten Rechtsanwalt Heinrich Spoerl ein Exposé verfasst habe. Für eine Recherche im Feld habe er anschließend sogar noch einmal die Schulbank gedrückt: In einem Gymnasium im niederschlesischen Neusalz an der Oder „mimte ich einen Herrn von mittleren Jahren, welcher das Abitur nachholen will, um studieren zu können“. Anschließend habe er binnen drei Wochen aus dem Exposé einen Roman geformt. Freund Spoerl, so Reimann, „milderte allzu krasse Stellen, erfand einen netten Vorspann, ließ das Ganze vervielfältigen“.

Reimann habe Spoerl anschließend bewusst den Ruhm der Autorenschaft überlassen, wie er schreibt. Und begründet es damit, dass er den erstarkenden Nazis nicht durch Publikationen auffallen wollte. Reimann hatte 1921 eine beißende Satire auf das antisemitische Machwerk von Artur Dinter „Die Sünde wider das Blut“ veröffentlicht – sie hieß „Artur Sünder: Die Dinte wider das Blut“ – und 1931 beim selben Verlag einen Vertrag für eine Parodie auf Hitlers „Mein Kampf“ unterschrieben. Diese Unterschrift zog er zwar nach einer Warnung aus dem rechten Milieu zurück, aber die Nazis verziehen ihm nicht, dass er eine Parodie überhaupt in Erwägung gezogen hatte. Daher habe er mit Spoerl ausgemacht: Unter deinem Namen veröffentlichen wir die „Feuerzangenbowle“, bei den Tantiemen machen wir halbe-halbe. Einige Jahre später kam es zum Bruch der Freundschaft.

Als Reimann diese Version 1959 veröffentlichte, haben die Spoerl-Erben 1959 nichts dagegen unternommen. Gleichwohl gilt Spoerl nach wie vor als alleiniger Autor. Er wird im Vorspann des Rühmann-Films genannt und, mehr noch, bis heute prangt allein Spoerls Name auf jeder neuen Ausgabe des Romans; es gibt nicht einmal eine herausgeberische Notiz über eine Mitwirkung Reimanns. Verlegt wird das Buch, das sich bisher über eine Million Mal verkauft hat, vom Düsseldorfer Droste-Verlag, der mit der Spoerl-Familie freundschaftlich verbunden war. Dementsprechend will Verlagsgeschäftsführer Manfred Droste, 79-jährig, von Hans Reimann nicht allzu viel wissen: „Reimann war als Ideengeber mit beteiligt, aber es war ein kleiner Anteil. Er hat ja in der Öffentlichkeit nie Ansprüche erhoben und den Ruhm Spoerl überlassen.“ Für ihn ist eine Autobiografie offenbar kein öffentlicher Auftritt.

Autor als Randfigur

Bemerkenswert ist, dass selbst Literaturwissenschaftler von der Reimann’schen Version nichts gewusst haben wollen. Das Heinrich-Heine-Institut, ansässig ebenfalls in Düsseldorf, erstellte 2004 eine Ausstellung über Spoerl und ein Begleitbuch („Heinrich Spoerl: Buch – Bühne – Leinwand“), das in ebenjenem Droste-Verlag erschien. In zwei Beiträgen geht es auch um die Entstehung der „Feuerzangenbowle“. Reimann ist dort nur eine Randfigur, die bei der Vermarktung des Spoerl’schen Werks geholfen hat; überzeugende Belege dafür fehlen allerdings.

Überhaupt lässt die Quellenerschließung in der Arbeit zu wünschen übrig: Sie bezieht sich nur auf den Spoerl’schen Nachlass. Reimanns Autobiografie ist mit keinem Wort zitiert; unbeachtet blieb auch der Reimann-Nachlass, der im Deutschen Literaturarchiv Marbach lagert. Das Archiv weist in seinem Internet-Katalog sogar „Dokumente zur Zusammenarbeit mit Heinrich Spoerl“ aus – nur gelesen hat sie niemand.

Warum diese einseitige Sicht auf die Dinge? „Wir hielten die Angelegenheit für längst geklärt“, sagt Prof. Dr. Joseph A. Kruse, Direktor des Heine-Instituts seit 1975 und Herausgeber des Buches, und spielt den Fall herunter: „Das Heine-Institut ist ein Archiv, das zwar auch forscht, aber vor allem der Forschung Material zur Verfügung stellt. Die Ausstellung und der kleine Katalogband hatten lediglich den Anspruch, den Nachlass Spoerls aufzuarbeiten und der Öffentlichkeit vorzustellen.“

Böse Briefe

Den Nachlass hatte Inge Spoerl, Heinrichs vor kurzem verstorbene Schwiegertochter, dem Institut vermacht – vielleicht hat das ja allzu große Nähe verursacht. Ohnehin hatte Kruse zu ihr ein „sehr gutes Verhältnis“, wie er erzählt. „Was man aus unseren Beständen zeigen kann, haben wir gezeigt. Das sollte aber nicht das letzte Wort darstellen, sondern einen kleinen Schritt auf dem Weg“, fügt er hinzu. „An dem Knochen ist noch Fleisch.“

Das klingt wie Hohn in den Ohren des Reimann-Erben Harald Dzubilla, der in Ahrensburg bei Hamburg lebt. Von dort aus kämpft er für das Andenken an den Reimann’schen Anteil, unterhält die Webseite www.hans-reimann.de und schreibt böse Briefe nach Düsseldorf. Für ihn ist der Fall klar: „Spoerl würde seinen Nimbus als großer Volksschriftsteller einbüßen, wenn sich herumspricht, dass er an der ‚Feuerzangenbowle‘ quasi nur als Lektor mitgearbeitet hat und dass auch ‚Wenn wir alle Engel wären‘ eine Gemeinschaftsarbeit mit Reimann gewesen ist. Immerhin sind das die Werke, mit denen Spoerl am meisten identifiziert wird.“

Für den Fall, dass es zu einem Rechtsstreit kommt, hat er noch einen Beleg in der Schublade: eine eidesstattliche Erklärung, die ein Arzt aus Neusalz an der Oder abgegeben hat, der mit Reimann befreundet war. Dieser Arzt bestätigte 1958, also kurz vor Erscheinen der Reimann-Autobiografie, dass Reimann zur Stoffsammlung auf das Gymnasium gegangen war und ihm allabendlich von seinen Erlebnissen und der Arbeit an dem Roman erzählte hatte. Reimann hatte sich das Schreiben offensichtlich für den Fall ausstellen lassen, dass die Spoerl-Familie gegen seine Autobiografie gerichtlich vorgeht.

Das ist damals nicht passiert. Andersherum will Reimann-Erbe Harald Dzubilla, 62-jährig, gegen das Kruse-Buch „vorerst“ nicht klagen: „Ich hoffe, dass der Droste-Verlag es freiwillig vom Markt nimmt.“ Letztlich fehlt dem Reimann-Erben auch der finanzielle Anreiz für einen Gerichtsstreit: Denn die Hälfte der Tantiemen hat der Droste-Verlag seit 1933 immer still und anstandslos überwiesen.