Das Dritte Reich in Farbe

Walter Frentz war der Fotograf und Kameramann im Führerhauptquartier: Um ihn geht es in dem von Hans Georg Hiller herausgegebenen Band „Das Auge des Dritten Reiches“

Seit einigen Jahren wird das Dritte Reich häufiger in Farbe präsentiert als früher. Statt nur Schwarzweißfotos zu reproduzieren, drucken Verlage und Nachrichtenmagazine gern Bilder, auf denen die Protagonisten des Nationalsozialismus, aber selbst Arbeitslager und KZs in annähernd naturalistischer, oft etwas blaustichiger Farbigkeit zu sehen sind. Das Auftauchen lange nicht zugänglichen Materials ist der Grund dafür. Neben den Filmrollen der Eva Braun fungieren meist (Farb-)fotos von Walter Frentz als Quelle. Einige davon erobern sogar schon das kollektive Bildgedächtnis: Häftlinge des KZ Dora bei der Montage der V2, Hitler beim Winterspaziergang mit Himmler, Hitler als Melancholiker im Flugzeug, Hitler vor den Modellen der Neubebauung von Linz. Doch als Fotografenpersönlichkeit blieb Frentz bisher unbeachtet: Wer liest schon die Urheberangaben unter oder neben einem Foto?

Das auf Anregung des Deutschen Kunstverlags entstandene Buch „Das Auge des Dritten Reiches“ schließt daher eine Wahrnehmungslücke. Und es schließt sie substanziell. Insgesamt elf Kunst- und Filmwissenschaftler sowie Historiker haben sich unter Leitung des Herausgebers Hans Georg Hiller von Gaertingen und unterstützt von Frentz’ Sohn des umfangreichen Nachlasses des 2004 kurz vor seinem 97. Geburtstag verstorbenen Fotografen angenommen. Der Band präsentiert neben den bereits bekannten zahlreiche bisher unveröffentlichte Bilddokumente und stellt sie in vorbildlicher Sachlichkeit vor.

Schon der erste Beitrag (von Matthias Struch) liefert eine wichtige Perspektive auf Naturell und Ansatz des Fotografen. So war Frentz seit seiner Jugendzeit ein aktiver Kanute, der manche Flüsse in Süd- und Osteuropa als Erster für den Wildwassersport erschloss und seine Abenteuer fotografisch, ab 1929 auch filmisch festhielt. Dass er sich dabei erst eigene Aufnahmetechniken einfallen lassen musste und sogar avantgardistisch vorging, machte ihn einige Jahre später zu einem idealen Kameramann für Leni Riefenstahls Parteitags- und Olympiafilme. Er wurde einer ihrer engsten Mitarbeiter und hatte es wohl auch ihr zu verdanken, dass man ihn 1939 als Bildberichterstatter für das Führerhauptquartier auswählte.

Nun versorgte er nicht nur die „Wochenschau“ mit Aufnahmen aus dem inner circle, sondern hatte ebenso die Gelegenheit zu zahlreichen eher privat anmutenden Fotos, deren bis heute gefährlich-faszinierendes Potenzial Klaus A. Lankheit untersucht. So tragen sie dazu bei, die „Person Hitlers von den von ihm initiierten Verbrechen“ loszulösen. Hitlers Schäferhund Blondi avancierte ebenso zu einem netten Motiv wie die Gäste des Führers, Knut Hamsun, Ernst Heinkel oder Mussolini. Aber Frentz fertigte auch rund 3.000 offizielle Farbporträts für das Regime an, dessen Repräsentanten und Idole, vom Fliegerhelden bis zum Leibkoch, eine unheimliche Variante zu August Sanders Großprojekt der „Menschen des 20. Jahrhunderts“ darstellen.

Zugleich begleitete Frentz Hitler auf Reisen oder wurde für Foto- und Filmaufträge in die besetzten Gebiete und an die Front abgeordnet. Es ist ungeklärt, wie viel er vom Holocaust mitbekam – oder sogar festhielt. Immerhin nahm er 1941 an Heinrich Himmlers berüchtigter Reise nach Minsk teil, wo eigens eine Massenexekution veranstaltet wurde. Klaus Hesse untersucht das vorhandene Material akribisch auf Spuren von später vielleicht vernichteten – belastenden – Dokumenten. Erhalten haben sich hingegen viele Bilder, die Bombenschäden deutscher Städte zeigen. Frentz gehörte zu den wenigen, für die das Verbot des Fotografierens von Ruinen nicht galt. Ludger Derenthal vergleicht Frentz’ Trümmerästhetik mit der anderer Fotografen nach 1945 und kommt zu dem Schluss, dass „Hitlers Kameramann und Fotograf“ (so der Untertitel des Buchs) auch hier eine „Deutungsrichtung“ vorgab und einer oft selbstmitleidigen „Rückbesinnung auf die ‚Werte des christlichen Abendlandes‘ “ zuarbeitete. Scham drücken diese Fotos jedenfalls nicht aus. Frentz scheint den Jahren des Nationalsozialismus sogar bis ins Alter nachgetrauert zu haben, obwohl er nach dem Krieg schon bald wieder gut im Geschäft war. Erneut war die Wildwassersportszene sein primärer Adressat; ferner tourte er mit Diavorträgen durchs Land und erreichte mit Themen wie „Vergangenes und unvergängliches Deutschland“ ein breites Publikum. Als ihm Leni Riefenstahl im Jahr 2000 ein Foto von den Dreharbeiten zum Olympiafilm 1936 schickte, das sie mit der Unterschrift „Lieber Walter – das waren noch Zeiten – wunderschön“ versah, dürfte sie ihm aus dem Herzen gesprochen haben.

WOLFGANG ULLRICH

Hans Georg Hiller (Hg.): „Das Auge des Dritten Reiches. Hitlers Kameramann und Fotograf“. Deutscher Kunstverlag, München 2006, 256 Seiten, 39,90 €